Der Aufgang Des Abendlandes
unwahrnehmbar und unergründlich ist. Da der Begriff Nichts oder Nichtsein
sinnlich gar nicht erfaßt werden kann, so wird die Sicherheit hochkomisch, mit der Orientalisten Nirwana als positives
»Auslöschen« verfechten, obwohl die Vedanta, die man wohl nicht im Verdacht hat, ewige Fortdauer der Psyche
zu leugnen, genau gleiches als »Moksha« verkündet. Nihilismus solcher Art hat man künstlich in
späteren Buddhismus hineinkommentiert: Buddha, der sterbend »in seine frühere Wohnung zurückkehrt«
und sich zur Wiedergeburt rüstet, liefert so den sprechendsten Beweis gegenteiligen Glaubens. Tatsächlich nannten
sogar Paulusschüler wie St. Dionys das höchste Wesen »Nihil«, weil der Ain Suph der Kabbala als das
Seiende und Nichtseiende bezeichnet wird, nämlich als das, was »nichts anderem ähnlich ist«. Dies
Nichts ist einfach das höchste Sein. Für jede anthropomorphische Religion, für jeden kindischen Willen zur
Vorstellung muß Unvorstellbares wirklich »nichts« bedeuten, so wie der Naturforscher ein Vakuum sieht, wo
die Quelle alles Seins sprudelt. Dem Klardenkenden ist aber ebenso natürlich, daß nur stofflicher Umriß
zerstörbar ist, dagegen das Nichtstoffliche jeder Form Entwachsene das einzig Unzerstörbare: Nichts heißt
soviel wie Unsterblichkeit. Und diese höchste Erkenntnis, über die kein Menschengeist je hinüberstreben kann,
war die Urreligion.
Alle antiken Völker betrachteten Götterbilder als Nationalpalladium. Bin Peruanerstamm, der seinen Goldschatz
vor Konquistadoren-Geierkrallen im heiligen Bergsee versenkte, schmolz von einer Million Seelen auf wenige Tausend, damit
verschwand seine Person, nicht Persönlichkeit der Stammpsyche, denn ihr Sprachidiom lebt noch heute mit ihren
Religionsbräuchen. »Ein König ist nicht in der Natur« (Napoleon), wohl aber der Priester. Doch solche
Medizinmänner kurieren stets den Gewissenswurm mit Hokuspokus. Herder nennt hebräische Poesie rein politisch. Als
die Ältesten Jahve schauten, »aßen und tranken sie«, solcher Filmzauber macht Appetit, Jahve
verheißt »morgens Brot, abends Fleisch«, damit Sattwerden innewerde, »daß ich euer Gott
bin«, Jakob stellt kontraktliche Brotbedingung, » dann soll er mein Gott sein«! Ihr lacht? öffnet nur
jede kirchliche Bundeslade! Man durchackere Hacoarniks »Einleitung zum Alten Testament«, um diesen Scherbenberg
als Akropolis des Monotheismus zu würdigen. Seit Gregor von Nyssa erloschen auch alle Lichtblicke des byzantinischen
Hellenismus im Nebel des Judenchristentums, den auch der neue Kirchenvater Neander (getaufter Jude) im 19. Jahrhundert)
zusammenbraute (1885 englische Übersetzung von »Christliches Leben im Mittelalter« als schmackhafte Speise
für Highchurch). Wählt man zwischen Schleiermachers »Monologen« (1821–31) und »Spirituellem
Bewußtsein« des liberalen Kaplans Wilberforce (1913), so – zahlte keiner von den beiden. Schelling aber
spekuliert so unfrei über »Menschliche Freiheit«, daß er die Natur den persönlichen Leib Gottes
nennt, solche Freiheiten nimmt man sich heraus, auch »Natur« als launenhafte Person! Für uralte Symbolistilc
(Maria Verkündigung: Kybelefest am 25. März, Abrundung der Heiligen Familie: Zeus' Schwan über Danae,
jungfräuliche Geburt: Minerva, Erlösung durch Chritti Blut: Bacchuskult, »fleischlich und geistlich«:
der Veden »zweierlei Leben des Selbst«, gut und böse Engel: wir bevölkern unseren Weg durch
Zerfallprodukte eigenen Denkens, lehrt malte Magie) gibt es Naturgrundlagen: X-Strahlen befruchten niedere Lebensformen wie
Sonnenwärme unbebrütete Eier, einige Pflanzen und Amöben entstehen ohne Sexualakt. Auch Heilung auf weite
Entfernung mit Anrufung Christi (Christian Science) ist sowohl Gedanken- als Strahlenübertragung, sowohl Hypnose ab
drahtlose Telegraphie. Vollends rechtfertigt physikalische Bezifferung, daß Licht und Ton sich aus 7 Schwingungen in 3
Farben und Dreiakkord auflösten, die indische Formel: 7 Stoffe des Menschen, die sich in 3 und 1 zerlegen. Stets
triumphiert Urweisheit: Physisches getreues Echo des Metaphysischen.
9. Umschau der Philosophie.
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Aristoteles' Ethik betont, selbst Gott könne Geschehenes nicht ungeschehen machen. Sehr wahr, unsere Vergangenheit
sind wir selber, ohne sie würden wir nicht sein, was wir sind, in ihr liegt unsere Zukunft beschlossen. Da wir aber
stündlich in der Unendlichkeit leben, muß auch Vergangenheit gerade wie
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