Der Aufgang Des Abendlandes
schon zugrunde, und die Annahme,
Pythagoras habe sie von Indien importiert, ist nach damaligen Verkehrsbedingungen unmöglich, die indogermanischen
Brahmanen schöpften aus sich heraus nur die Vedanta, also kann das Gesetzbuch nicht von ihnen das Karmaprinzip
übernommen haben. Vielmehr erinnern wir an Buddhas Bemerkung über frühere Urreligion, deren Pfad er nachgehe,
und sind überzeugt, daß wir auch diese kostbarste Gabe den Urahnen verdanken, von denen sowohl Pythagoras als
Buddha sie aufnahmen. Schopenhauer denkt bei »Urweisheit« nur an Chaldäer und Inder, sie wohnte aber ebenso
gut an Rhein und Loire, die den Urdingen näherstehende, anschaulicher denkende, geniale Urrasse schuf diese Wahrheit.
Daß Materialismus auf Trugschluß beruhe, da die gewähnte Realität nur Gehirnphänomen, ist wahrlich
keine moderne Entdeckung, Parmenides bezeichnet genau wie die Vedanta die sichtbare Welt als Illusion (Nicht-Seiendes)
»Welt der Schatten« (Plato).
Urweisheit wird bei ihren Anhängern eine Klarheit des Schauens vorausgesetzt haben, die fiktiven kategorischen
Imperativ nicht nötig hatte. Auch Jesu Sittengesetz hat ursprünglich rein transzendentale Begründung,
weiß durchaus nichts von angeborener Sittlichkeit, welche angeblich Gerechtigkeit, Aufopferung, Nächstenliebe,
Entsagung dem ganz und gar selbstischen Ich beföhle, sondern er verlangt Neugeburt wie Buddha durch Erkenntnis. Sein
Zentralgebot heißt »sich selbst verleugnen«. Daß dies als allgemeine Menschenliebe (bei Buddha
Wohlwollen selbst für Schlangen und Tiger) erfolgen müsse, ist sozusagen praktische Nutzanwendung, da
natürlich Religion auf Altruismus grundsätzlich nicht verzichten darf. Die falsche Voranstellung dieser an sich
sinnlosen und oft schädlichen Liebe für Unliebenswertes, des Antiegoismus für fremden Egoismus, verwirrt den
Sinn. Wer sich einer Idee hingibt oder dem Kultus bewunderter Vorbilder, verleugnet sein Ich ebenso wie derjenige, der in
Gottliebe aufgeht und nur deshalb seinem Nebenmenschen wohlwill, weil das Gegenteil niedrig wäre und die Selbstachtung
fordert, das Niedrig-Selbstische zu verleugnen. Diese Fähigkeit zur Ichverachtung mag durch Erkenntnis zum Durchbruch
kommen, letztere fordert aber von vornherein sittliche Anlage, selbst wenn nicht stark genug, eigenes Handeln mit dem
Erkennen in Einklang zu bringen. Solcher Sittlichkeitstrieb widerspricht dem natürlichen und durch materialistische
Weltanschauung noch gesteigerten Egoismus. Er ist aber bei einzelnen nun einmal da, Erkenntnis findet nur, wer dazu geeignet,
am Rohen prallt der klarste Logos ab. Wie will man diese Gnadenwahl schon bei der Geburt erklären? Die gegen Karmazwang
Faselnden sollten einsehen, daß Anerkennung des Determinismus jede Willkür innerhalb der Kausalität
ausschließt, also Metanoia und Illuminatio nicht unvermittelt entstehen können. Keine Erscheinung ohne Ursache,
diese kann hier nur vor der Geburt liegen, also setzt jeglicher Idealismus Determinierung durch Präexistenz voraus,
einmalige würde nie genügen, sondern die Ursache projiziert sich immer ferner rückwärts, daraus folgert
ebenso dauerndes Reinkarnieren nach vorwärts. Jede andere Weltanschauung widerspricht sich selbst. Wäre freier
Wille vorhanden, dann bedarf man kein göttliches Eingreifen; erkennt man die Unfreiheit, so kann Gott nicht
willkürliche Abbiegung zum »neuen Adam« veranlassen, genügende Kausalität dafür bloß in
kurzen Einzelleben wäre undenkbar. Wäre die Nichtexistenz des Imperativs zum Idealen allgemein, dann hätte
Materialismus wenigstens in dieser Hinsicht recht, dann wäre jedes Sittengesetz Narrheit oder Heuchelei, vom
allbeherrschenden Egoismus darf atheistisches Denken keinerlei Altruismus erwarten, womit auch der Sozialismus
lächerlich wird. Indessen ist Idealismus bei einzelnen eine Tatsache, noch mehr: Es kann eine Hypnose transzendental
hinauf gerichtet eintreten, die große Massen mit dem Schlachtruf »der Kelch für alle« zu
religiöser vaterländischer freiheitlicher Inbrunst bis zur Selbstverleugnung fortreißt. Sogar der Weltkrieg
bewies neben so viel Bestialem und Schäbigem das Vorhandensein dieses antiegoistischen Triebs selbst in einem
verrotteten Zeitalter. Also baut der Materialismus auch hier nicht auf gültigen Tatsachen. Er und die Kirche können
weder die eine noch die andere Seite der Menschenpsyche erklären, »Anthroposophie«, wie Steiner seine
sogenannte Theosophie
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