Der Aufgang Des Abendlandes
Hinsicht kaum vom Geisterglauben unterscheidet. Selbst wenn Buddha je wirklich Fortdauer geleugnet hätte
– Nirwana ist nur ein anderer Ausdruck für »ewige Seeligkeit« – so würde die von ihm
unterstrichene Wiedergeburt schon betonen, daß es ein vereinzeltes Diesseits überhaupt nicht geben kann. Spinoza
aber lehrt keineswegs Niederkämpfung körperlichen Lebenstriebs, einsame Abkehr und Abtötung, sondern
verherrlicht Gemeinsinn und Staat, wobei er ihnen Ideale unterschiebt, die jeder Erfahrung spotten. Die von ihm gebilligte
Selbsterhaltung wird stets nur Selbstsucht zulassen, solange sie sich nicht in Beziehung zum Unsichtbaren setzt.
Daß Gott in allen Dingen ist, scheint irreführende Formel, richtig nur, daß er in allem waltet, etwas
wesentlich anderes. Deshalb darf man alles als seine Emanation achten, doch das Böse und Geistlose zu
»lieben« wäre unpsychlogische Überspannung. Denn die am stärksten hassen und verachten, haben
vorher am meisten Gutes erwartet und Wohlwollen gefühlt. Überwindet man diesen Zorn, der nicht selbstisch zu sein
braucht – Entrüstungspessimismus richtet sich nicht gegen einzelne, sondern abstrakt gegen das Weltböse
–, so kann hohe Gerechtigkeit, aus unzerstörbarem Wohlwollen geboren, nur vom höchsten Erkennen gefordert
werden. Wie darf man aber diesen Ausnahmezustand, wie er in Jesus schon als gottähnlich aufragt, als Grundlage einer
Menschheitsethik vorschützen, sobald man sich in reiner Abstraktion bewegt ohne konkrete Anknüpfung an
Überirdisches! Die »Diebe« wird dann unbewußte Selbsttäuschung, sie reicht gegenüber dem
Erbärmlichen nicht aus, wäre nutzlos weggeworfen, Schwäche aus Kraft- und Mutlosigkeit. Sein Leben einsetzen,
um den Drachen zu töten, ist sicher ethischer, als sich passiv von ihm fressen lassen, und ist solch unsinnige Diebe
nicht Selbstliebe, die sich übermenschlich erhöhen will? Wer dazu fähig, wohl ihm! Doch in solcher
Selbstachtung liegt ein Stolz, in dem eher Verachtung als Diebe steckt. Auch werden wir das Gefühl nicht los, daß
Spinozisten, wie der warmherzige Auerbach, der freilich im Deben mehr Weisheit in Worten als Werken trieb, durch keine lange
harte Schule gingen. Wer menschliche Gemeinheit gründlich schmeckte und die Heuchelei rührseliger Humanität
durchschaute, die doch nie Opfer bringen möchte, weist alles Diebesgerede ab. Mitleid, das man allenfalls dem
Nichtswürdigen gewähren mag, ist nicht Diebe. Das Gesetz der Individualität verbietet gleichmäßige
Ethik, am schwersten an der Menschenniedrigkeit tragen die Schöpferischen, sie haben auch keine Zeit; sich um elende
Mitmenschen zu kümmern. Und doch sind gerade sie es oft, siehe Byron und Leonardo, die den stärksten Instinkt von
Mitleid und Güte empfinden und betätigen, während ihr Mund von Verachtung überfließt,
selbstverständlich belohnt mit Verleumdung und Niedertracht. Bewegt diesen Elan großer Seelen etwa »Liebe zu
Gott«? Keineswegs, sondern unwiderstehlich angeborener Trieb ihres Edelsinns. Nur aus diesen wenigen Elitemenschen,
Jesus obenan, konnte der Mensch sich den Begriff bilden, daß Öott die Liebe sei und sich für unliebenswerte
Geschöpfe kreuzigen lasse. Mit vollem Recht findet jeder Betrachter des Sichtbaren diesen Liebeswahn absurd. Denn wenn
Gott, wie Spinoza selbst erkannte, vor allem die Gerechtigkeit der Notwendigkeit ist, dann bleibt ihm für Affenliebe
für alles Schlechte und Nichtige nichts übrig, das wäre Ungerechtigkeit. Ein Gott, der sich in allem
Schlechten und Niedrigen wiedererkennt und selbstliebt, wäre alles eher als ethisch, so daß solcher
Pantheistengott auch keine Liebe für seine ohnmächtige Zerflossenheit verlangen darf.
Erheben wir mit Bruno den Blick zum gestirnten Himmel, zur Unendlichkeit des Entstehens und Vergehens, so erkennen wir im
ursächlichen Gesamtzusammenhang ein ur anfängliches intuitives Schöpferlicht. Doch die Weltsubstanz, obwohl in
sich monistisch eins, kann unmöglich mit Gott konkret identisch sein. Denn äußerlich sichtbar triumphiert die
Bestie, und diese fortwährend zu vertreiben, obschon sie in sichtbarer Materie immer wiederkehrt, ist der Zweck ewigen
Diesseitskampfs: »Spaccio della bestia trionfante.« Alles Sichtbare hat einen Januskopf, halb schön, halb
häßlich, nach dem Gesetz ewigen Wechsels, auch im Schicksal des einzelnen. Napoleon empfing als Triumphator die
Schlüssel von Mailand, Madrid, Wien, Berlin, Moskau, doch
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