Der Aufgang Des Abendlandes
wiederkäuende, der andere eine fliegende Weltanschauung, die vielen Menschenochsen haben
Nützlichkeitswert, die wenigen Menschenadler Ätherbeziehung. Wenn daher Spinoza sagt: »Ich beurteile
menschliche Handlungen, als wären es Flächen, Linien, Körper«, so erscheint solche Anmaßung von
oben herab als »Chutzpe«. Denn jede geometrische Generalisierung verrechnet sich, in Psychedreiecken sind
manchmal Hypothenuse und Schenkel unkenntlich verschieden. Deshalb hat Leibniz' »Individuation« mehr Wahrheit als
Spinozas allgemeine Substanz. Verständig läßt Auerbach (»Dichter und Kaufmann«) den Mendelssohn
sagen: »Der einzelne Mensch geht weiter, doch die Menschheit schwankt beständig und behält im ganzen dieselbe
Stufe der Sittlichkeit in Religion und Irreligion.« Derselbe Auerbach übersetzte Spinozas Lateinwerke, so wenig
verstand er, zu welchem Widerspruch dessen Vergemeinschaftung führt. Wie kann dann der einzelne weitergehen, wenn die
Menschheitsubstanz auf gleichem Flecke beharrt! Göttliche Notwendigkeit als zielstrebende Gerechtigkeit erfüllt mit
Ehrfurcht, mechanische Notwendigkeit gleichgültig rotierender Substanz, betitele man sie noch so hochtrabend
»Gott«, drückt nieder. Zwecklose Nichtigkeit des Teildaseins im ewig gleichen Ganzen kann man nicht mit
unnatürlicher Liebe zu einer teilnahmlosen Substanz umkleiden, nicht von schwachen Sterblichen eine unmögliche
Fassung und Ergebenheit verlangen. Dann wäre wirklich der Mensch selber Gott, das sittlich Vollkommenste! Angesichts der
wirklichen Menschennatur ist solche Anthroposophie Aberwitz: wenn Spinoza sich selbst als solchen Gott fühlt, der sich
selbst in Gott liebt, so wird kein anderer Mensch dadurch erlöst, erst am Ende aller Zeiten könnte die Menschheit
solche Gottheit in sich spüren. Spinoza nennt ja seine Philosophie ausdrücklich »Ethik«, doch mit so
geschwollener Stoa wird keine Menschenethik möglich, nur auf Verkennung aller natürlichen Grundlagen beruht die
Begeisterung für eine Vernunftreligion, die weder Konsequenzen des Buddhismus zog (der Einsamkeit suchende Spinoza
predigt Aufgehen in Staat und Gemeinsinn!) noch Jesu Seelenlehre übernimmt, doch auch amoralischen Tendenzen unehrlich
aus dem Wege geht. Gottsubstanz wird hier zur Falle für bängliche Gemüter, die ein atheistisches Natursystem
nicht vertragen. Kein ehrlicher Mechanist läßt sich auf so krummem Wege eine Ethik einreden, die einen
Gottesdienst von Moralliebe für etwas heischt, was überall und nirgends ist und alle Selbstopfer zu seiner Ehre
nicht rückvergütet. Spinozas eigene Aufrichtigkeit in Ehren, doch seine Lehre ist unaufrichtig, weder für
Jesus noch Leibniz erträglich noch für ehrlichen Materialismus, nur unklares Klarheitsuchen kam hier auf seine
Rechnung.
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Sogar Benennung der Formeln ist oft unzureichend, so müßte man statt »Erhaltung« genauer
»Beharrung« der Kraft sagen, »induktiv« und »deduktiv« sind leere Worte, es ist
unstatthaft, Spekulation und Analyse auseinanderzuhalten. Jede Analyse geht von spekulativer Voraussetzung aus, jede
Spekulation analysiert Begriffe des eigenen Intellekts. Wegen versuchter Trennung beider Methoden entwickelte sich die
Wärmetheorie so langsam, denn anfangs hielt man Wärme für Stoffeigenschaft, bis man sie als immateriell und
identisch mit dem Licht erkannte. Dies geschah durch kühne Deduktion, Abstreifen einer Sinnestäuschung, so
daß man latente Wärme als übersinnlich begriff. Jene Schotten wie Black würden, wenn sie ihre
Spekulation fortsetzten, zu Schlüssen in unserm Sinn gelangt sein: Identität der Wärme mit Bewegung und allen
übrigen Kräften, diese allein organisches Leben ermöglichende Wärme ist Unsichtbarkeit. Spekulation kann
nicht fehlgehen, wenn sie nach diesem Unsichtbaren greift, denn ihr tastender Schritt stößt dort auf bewohnbares
Land. Doch sie wird haltlos, sobald sie nicht mit Innenschauen die Außenwelt bestrahlt. Der Rationalismus schnitt dies
ab, indem er sich auf Analyse des Bewußtseins beschränkte, so wurde er Stiefvater des groben Materialismus, der
sich ums Illusionäre der Sinnentäuschung überhaupt nicht kümmert und nur Sichtbarkeitsanalyse übrig
ließ. Seltsamerweise warnt sogar Buckle (2. Bd., 6. Kap.) vor der Naturforscheranmaßung, ihrem
»ungehörigen Respekt, vor Experimenten, unpassender Liebe zu kleinlichem Detail, ihrer Neigung, Erfindung neuer
technischer Instrumente und Entdecken
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