Der Aufgang Des Abendlandes
Geschichte. Vielmehr stoßen wir hier auf das Wunder,
daß Versinken von Erdteilen sofort Ersatz durch Auftauchen neuer Teile an anderer Stelle nach sich zieht. Bei und nach
Kriegserschöpfung steigt oft die Geburtenziffer, um allmählich den Ausfall zu ersetzen. »Natur«
befaßt sich also mit allem Geschehen nur ökonomisch. Will man Geschichte anthroposophisch schreiben, muß man
umfassendes historisches Wissen unter den Füßen haben, was Steiner und seiner Schule ganz abgeht, sonst
benützt man brüchiges Material als Sprungbrett. Man darf Geschichte nicht an mechanischer Spule laufen, aber auch
nicht ihr Garn ganz locker lassen.
Drapers »Geschichte der intellektuellen Entwicklung Europas« erkennt ein unerbittliches Fatum im Leben der
Völker wie jedes Menschen: »Das Freiwillige ist Schein, verhüllend das Vorbestimmte.« Wir sagen
geradezu: Eine transzendentale Geometrie bestimmt die Kurven des Vor- und Rückschritts. Anthropologie à la
Steiner müßte Determinismus abschwören und am freien Willen hangen, da sie an steten Fortschritt des Menschen
glaubt und wie Nietzsche heimlich vom Übermenschen träumt als einem in der Zukunft liegenden Ziel. Und doch gestand
Nietzsche, als er im lichtem Augenblick verdunkelter Karmaahnung »die Wiederkehr des Gleichen« fand, daß
ihn dies bange bedrücke und dem Aufstieg zum Übermenschen widerstrebe. Jawohl, diesen logischen Schlagbaum schiebt
man den zukunftlüsternen Anthroposophen vor, die empörende Nichtachtung des Tiers stammt aus gleicher Quelle
träumerischer Überhebung. Die Katzen z.B. haben ausgeprägtes Selbstgefühl individueller Verschiedenheit;
wir sahen eine edle Katze als Kinderwärterin mit einem Ausdruck engelhafter Güte und am nächsten
Straßenende eine förmlich von Bosheit strotzende Angora mit einer Teufelsvisage. Noch weniger läßt die
Differenzierung der Menschen gleicher Rasse allgemeinen Entwicklungstyp zu. Weiße, gelbe, olivengelbe, schwarze,
rötliche Rassen sind keineswegs so grundverschieden, wie Hochmut des Weißen meint, auch wagte noch niemand zu
wähnen, die Weißen hätten sich aus Negern, Semiten, Mongolen entwickelt. Einschleppung des Evolutionsdogmas
in die Theosophie will sich teils dem herrschenden Wissenschaftsmilieu anpassen teils sich als Mittel zur
Menschenvergötterung einschmeicheln. Diese schädliche Täuschung weiß auch mit dem Karmagesetz nichts
Rechtes anzufangen. Wenn schon Erigina und Buonaventura im Mittelalter die Metempsychose lehrten, Helmont sie in 200
Problemargumenten verteidigte, also die Europäer sich manchmal zum alten Glauben zurückfanden, so scheint
bezeichnend, daß Metempsychose heute zur »Auferstehung des Fleisches« wird: so bleibt modernen Barbaren nur
das »Fleischliche« verständlich, während Karma nur mit der Psyche zu tun hat. Besorgte
Evolutionsmechanik schon selber Veredlung und Stärkung, dann hätte Wiedergeburt keinen Zweck, Theologie und
Materialismus sind einig in Ablehnung dieser Züchtigung ihres Größenwahns, selbst die albernen
Gegeneinwände der Beiden sind immer die gleichen. Genug, eine Anthroposophie, die mit Karma eine irdische Evolution
verquicken möchte, schlägt sich selbst ins Gesicht, »Gruppenseele« der Tiere entwürdigt das
Allseelische, das sie predigen will. Oxygen, Hydrogen, Nitrogen, etwas Schwefel und Phosphor und vor allem Carbon sind das
Material für jede Zelle, werde sie Pflanze oder Mensch. Die Einerzelle des ersten Protoplasma in arktischem
Wasserschlamm war vielleicht der Einzug sichtbaren Lebens auf Erden, doch die Natur vollbringt täglich das nämliche
Wunder des Zellenaufbaus aus Wasser, Luft, Erde, wie man es am klarsten bei der Pflanze beobachtet, das Physische des
Menschen hat da gar nichts voraus. Wie kann also physische Evolution in Betracht kommen, da die Bestandteile alles
Körperlichen und ihr Funktionieren bei allen Lebewesen gleich! Anthroposophie als besondere Art der Theosophie ist ein
Unding, als physische Erscheinung hat der Mensch nicht mehr Bedeutung als die Amöbe, Seelenlehre fällt nicht ins
Ressort der Anthropologie. Ein Elefantengenie – warum sollte das nicht mal vorkommen? – hätte sicher mehr
intuitives Verständnis fürs Unsichtbare als Gottlieb Schulze mit seiner famosen Schulbildung. Lamarck erkannte:
»Verlangen geht der Funktion vorher«, Wunsch und Streben der Tiere und Pflanzen verschafft ihnen durch
geheimnisvolle Mitarbeit des plastischen Schöpferwillens der Natur
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