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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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wieder auf? Sittlichkeit ist determinierte Folge
des Denkens überfeiner Individuen, wogegen die Menge sich heimlich sträubt, allgemeines Menschenwerk der
Sittlichkeit ist Fabel. Mit Steiner, wie er sich auch dreht und windet, kommen wir wieder beim theologischen
Anthropomorphismus an, nur modern zugestutzt, oder bei Aristoteles, dem die Planeten als Lampenträger für das
Weltzentrum Erde galten. Für Steiner dreht sich zwar die Erde um die Sonne, doch das All um den Menschen. Den
Aristotelischen Begriff Form wendet er hin und her, man könnte ihn auch im Sinne Kayserlings als »Sinn«
deuten. Man wird nicht daraus klug, wie Steiner sich seine Mystik zusammenreimt, bei christlichen Mystikern
Evolutionstendenzen entdecken? Da wäre auch. Swedenborg dessen verdächtig, weil er Transformation im Mineralreich
untersuchte. Selbst Steiners Soziologie entgleitet zwischen den Fingern wie ein Nebelstreif, Mystik und praktische
Sozialreform lassen sich nicht ehrlich verbinden. Seine politische Klugheit offenbarte sich drastisch, indem er ein
fragwürdiges Schuldbekenntnis aus Moltkes hinterlassenen Papieren der Entente in die Hand spielte, was entweder unweise
Bosheit oder noch unweisere Torheit verrät. Seine Erfahrungen in Spiritismus zeugen von erheblicher
Oberflächlichkeit, der Prophet dekretiert einfach fort, was ihm nicht paßt. Man begreift, daß ein um
praktische Propaganda Bemühter den Konventikeln der Nur-Spiritisten nicht wohlwill, deren neuer geistlicher Hochmut den
Geisterverkehr für eigene Auszeichnung hält. Wie bornierte Bibelleser alle Werke des Genies neben dem »Buch
der Bücher« für nichtig erachten, so wird man sich nächstens hochbegnadet fühlen, weil irgendein
Schulze-Spirit Belangloses vorlallt. Doch Steiners Jünger dünken sich ja auch hochgehoben durch des Meisters
Nähe, und Salontheosophie steht in reichem Flor.
    Man enträt Gottes um so leichter, je mehr man sich um »Geist« bemüht, es geht auch so.? Nach
Biologen-Charivari giftgrüner Freidenkerhefte mit Empfehlung von Hochschulkollegen von Schimpanse-Professuren kam heute
zur Abwechslung mal wieder Gott zu Amt und Würden unter Absetzung der Göttin Menschenvernunft durch Schütteln
des Kopfes. Doch allein geisthabende Steinermenschen kneifen trotz närrischem Ausstreichen des Tiergeistes den
Affenschwanz nicht ein. Zwischen Haeckels Wahrheitstotschlag und verschwommener Mystikauseinandersetzung zweideutig
schwankend, erhebt man so die Menschheit en bloc zum auserwählten Volk von Geistbesitzern. Recht so, auch die Briten als
»Letzter der zehn Stämme Israels« schlossen ja mit ihrem »Lord« einen Pakt mit
Konventionalstrafe, wenn das Geschäft nicht rentiert, obschon eine Vatikankarte zur Zeit der Lepantoschlacht
Großbritannien nur ein Viertel so groß als Holland zeichnete! Während das »göttliche
Selbst« sich in acht nehmen muß, nicht in Untiefen abzustürzen, droht anthroposophische Klippe mit gleichem
Größenwahn wie Taulers »der Mensch wirkt mit Gott all seine Werke«, »durch den Menschen sind
alle andern Kreaturen ausgestoßen« und Luthers Frechheit »Gott und Mensch sind eine Person«.
    Eine angeblich mit den höchsten Gegenstanden des Göttlichen-im-Menschen beschäftigte Lehre sollte sich doch
nicht auf Sozialethik einlassen. So beschäftigt sich Hayer mit Lamprechts Wirtschaftsgeschichte, die doch von selber
Bewußtseinsbrüche ausschließt, denn Wirtschaftskampf bleibt sich innerlich in allen Zeitaltern gleich,
Kapitalismus und Sozialismus, d. h. Sklavenausbeutung und Sklavenaufstand gab es allzeit. Darin hat Hayer freilich recht,
daß Herder und W. v. Humboldt in der Geschichte einen göttlichen Ideengehalt verwirklicht fanden, daß dann
dies weltgeschichtliche sich zum nationalgeschichtlichen Interesse verengte, dessen Quellenforschung zu ödem
Philologenspezialismus führte ohne geistiges Verbindungsband, wodurch Geschichte als gleichgültige Fachwissenschaft
in den Hintergrund gedrängt und Naturgeschichte allein die Teilnahme des Publikums eroberte, weil sie weitere Horizonte
zu eröffnen schien. Daß Hayer sich noch an Nietzsche schulte, der doch Geschichte als Kleinkram verwarf, zeigt
auch hier Verworrenheit. Immerhin ist man ihm Dank schuldig, daß er Geschichtsverständnis wecken will, für
die Menschheit ist ihre Vergangenheit naturgemäß wichtiger als sogenannte Naturgeschichte, ein begriffsloser
Begriff, denn die Abstraktion Natur hat überhaupt keine

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