Der Aufgang Des Abendlandes
himmlischen Marschallstab. Ob also auf theologischem oder Steinerschem holperigen Steinweg, die Kutsche
anthropomorphischen Größenwahns rollt stets mit gleichem Geräusch durchs Himmelstor ihrer Einbildung.
11. Übersinnliches, Traum, Spiritismus.
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Der Nobelpreisträger Tagore umhüllt ethische Gemeinplätze mit duftig-blumiger Sprache und in
Darmstädter »Schule der Weisheit« feiert ihn der nämliche Kayserling, der das große Wort gelassen
sprach, in tieferem Verstande seien alle Denker Betrüger. Diese eklektische Inderweisheit macht nur Schule für
jenes Liebesgesäusel, das schillernde Seifenblasen in die Luft wirft. Für Gemeinschaft einer menschlichen und
göttlichen Seele bringt er nur religiöse Voraussetzung, Verbindung ist nicht Identität und Menschenpsyche
nicht Totalität der Weltpsyche. Mit solcher Schwärmerei, die an Shelleys Pantheismus der Liebe erinnert, mag man
Frauen entzücken, nicht ernste Wahrheitsringer, die nicht im Magiertalar stolzieren und ihre würdevolle
schönäugige Anmut mit Güteblumen drapieren. Wer nie den bittern Daseinskampf der Abendländer durchmachte,
schritt sein Lebtag friedlich auf Rosen dahin, wie sie ihm Darmstadts Mägdelein streuten. Solche Weise, die vom Leben
nichts wissen und unter Palmen sinnig wandeln, möchten das grause Lebensübel mit »Liebe« vertuschen,
als ob persönlicher schöner Impuls angelernt werden könne wie ein Katechismus. Am Ganges duftet's und
leuchtet's, unterm Palmbaum träumen seligen Traum, doch wie jener Mathematiker fragte, als man ihm Verse vorlas
»Was wird damit bewiesen?« Die lieblichste Poesie (Tagore ist ein reizvoller großer Lyriker) ersetzt nicht
die Überzeugung strenger Gedanklichkeit. Mit seiner oder Euckens Oberflächlichkeit erwirbt man Nobelpreise, nicht
den Preis ernster Denker.
Anders steht es um ein natürlich unbekannt gebliebenes Buch »Die auferstandene Methaphysik« von H. Kerle
(Ulm 1921). Der Titel ist spöttisch gemeint, könnte aber als Selbstironie gelten, denn im tiefsten Grunde denkt
Kerle so metaphysisch wie möglich. Weil er ein ganzer Kerl ist, möchte er nur auf eigenen Füßen stehen,
selbstherrlich die Welt in sein Ich aufsaugen. Diese merkwürdige Philosophie leugnet Gott und Unsterblichkeit
theoretisch als zwecklos, verfährt aber dabei streng idealistisch, betrachtet jede Wirklichkeit als Schein, nur
geistigen Eigenwert hochhaltend und von ihm auch jede Ethik ableitend. Denn weder Gott noch Menschen zulieb tut der Eigenwert
Gutes, sondern einzig aus Selbstachtung. Schön, doch das läßt sich eben nur von ganz Wenigen erwarten, die
abnorm hohen Seelengrad erreichten. Wie entsteht solcher Eigenwert? Man höre und staune! Alles Geistige entspringt unter
bestimmten kausalen Voraussetzungen »aus dem Nichts«! So wiederholt er ausdrücklich und unterstrichen, er
nennt dies Okkasionalismus. Sein Atheismus setzt uns also ein Schaugericht vor, das man als Atrappe ablehnen muß: Das
unendliche All soll nur im unendlichen Menschsein wahre Werte auslösen, wohlgemerkt nur in gewissen auserkorenen
Menschen, die so Beherrscher des Alls werden und einen Gott höchstens als »Diener« ihrer Erhabenheit
brauchen können! Der Anthroposophenwahn »wir sind selbst uns Gott genug, lassen keinen andern gelten«
(Griesebach) ist hier auf die Spitze getrieben. Stets wird von Wahrscheinlichkeit geredet, welche spricht für so
abstruse Annahme? Wer kann sich das Unding vorstellen, daß Materie oder Leben oder wie man es nennen will, höchste
Seelenwerte aus dem Nichts schaffen bloß durch kausale Nervenreibung? Wir sagen Nerven, um doch etwas zu definieren,
denn er selbst definiert überhaupt nicht, da er den Hirnapparat als nebensächliche Axidenz betrachtet. Wenn dies
nicht der tollste Spiritualismus ist! Ein einzigartiger Vorfall, kausaler Zufall ohne kausale Gründe, dafür
wäre Analogie im All das Wenigste, was man fordern darf. Das Wahrscheinlichste bliebe jedenfalls, daß das
innerhalb der Materie unerklärliche Hochgeistige nur entstehen kann aus unbekannten Sphären als deren analoges
Abbild. Entstehen aus Nichts wäre doppelt widersinnig in solch gottlosem All. Dagegen hat K. nur zu recht mit
einschneidender Kritik modernster Metaphysik, man erstaunt betrübt, was man da auftischt; doch auch K. gibt sich so
subtiler Spekulation hin, daß sicher nur wenige ihm folgen können, die hier und da Wahrheit aufblitzen sehen, was
sich aber hinter Verkehrtheiten
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