Der Aufgang Des Abendlandes
und
Glauben nur ohne Wissen möglich, dann haben beide kaum Relativitätswert. Infolgedessen verwirft Bergson den Begriff
Vernunft und sucht in Empfindung das allein wirkliche Psycheelement, man steht am Totenbett des Rationalismus. Empfindung ist
etwas, was sich weder mit Allgemeinverbindlichkeit des Verstandes noch des Glaubens verträgt, wohl aber mit
Individualismus. Wir halten auch Neigung zum Schlußfolgern, woraus Kausaltrieb des Denkvermögens erwächst,
für energetische Empfindung, eine Begierde des Bewußtseins, Wert und Gegenwert zu verbinden. Nannte doch schon
Hume den Schlußfolgerungstrieb einen unmittelbaren Instinkt des Menschen! Somit sind Glauben, Wissen, Empfinden als
eins zu fassen, Wissen ist Glauben an Sichtbares, Glauben ein Wissen des Unsichtbaren, beide nur instinktives Empfinden.
»Ein Gott ohne Ursache und von Ewigkeit her ist ganz so unbegreiflich, wie eine Welt ohne Ursache und von Ewigkeit
her, wir dürfen dies aber nicht als unbegreiflich verwerfen, denn jede andere mögliche Theorie ist geradeso
unbegreiflich«, so maßvoll drückte Newton das Hypothetische jeder Weltanschauung aus, während das 19.
Jahrh. den anmaßenden Ton von Ivamennais anschlug: »Warum gravitieren die Körper? Weil Gott es will, sagten
die Alten; weil die Körper sich anziehen, sagt die Wissenschaft«. Ja, warum ziehen sich die Körper an, kraft
welches ersten Bewegungsbefehls?
Wenn Goethe an Boisserée bekannte, daß er unter Hadrian, und Flaubert vor G. Sand, daß er unter Nero
lebte, werden sie uns sinnfälligen Zusammenhang antiker und moderner Existenz weder begreiflich machen noch selber
spüren, da mußten Zwischenglieder vorhanden sein, die in Vergessenheit gerieten. Freilich schilderte Pythagoras
sein Vorleben als Trojakämpfer, indem er Reliefdevisen auf Innenseite einer in Delphie aufgehängten
Schildtrophäe fernsichtig angab: Dies sei damals sein Schild gewesen. »Spötterei über den
»Hahn«, an den er sich auch noch erinnern wollte, sollte sich bescheiden, daß uns schlechterdings kein
Urteil darüber zusteht, ob dies abstruse Irreführung oder Rechtleitung des Hellgesichts sei. De Rochas' Experimente
mit Somnambulen bestätigten, daß diese sich als unbekannte von ihnen benannte Personen vor 100 und 200 Jahren
empfanden, deren frühere Existenz dann tatsächlich durch Kirchenregister festgestellt wurde. Das Allermindeste, was
der Skeptiker zugeben muß, ist die Erfahrungstatsache, daß der Instinkt einer Präexistenz tief im
Unbewußten lebt und nur durch Tagesschein verdunkelt wird.
In der Geschichte geht ein Geist um, der manchmal eine große Geste hat. In Walthamabtei, wo der letzte
Sachsenkönig bestattet, beerdigte man auch Edward I., den ersten Normannengründer des englischen Imperialismus, von
hier begann Karl I. den Bürgerkrieg, der angelsächsische Freiheit wieder emporbrachte, als griffe Harolds Spirit
aus seiner Gruft in Englands Geschick ein. Doch als 1604 an der Guineaküste ein Freibeuter »Hamlet«
aufführte, tat er keinen Blick in die Zukunft des British Empire bei so symbolischem Vorgang; als 1757 Pitt Gibraltar
räumen wollte, hätte kein Hellseher Glauben gefunden, Spanien werde noch tiefer sinken. Aber Johanni Weltprophetie,
die man als kurzfristigen Wechsel auf die Nerozeit auslegen möchte, ist ebenso Wirklichkeit wie Daniels Bilderreihe
über vier antike Weltreiche. Das Buch mit sieben Siegeln kann man lösen und sich vermessen, es bis 1934 zu
kontrollieren samt dem rot anlaufenden Tier und dem Babelweib, wechselndem Sinnbild jedes Materialismus vom cäsarischen
Rom bis zum Bolschewismus. Während in Brandlers »Die Sintflut kommt wieder« esoterische Dynamik dem
Physikalischen zuwinkt, weissagt Westfals »Weltgericht«, wie ein Uranuskalender astrologisch, mit Bibeltexten
teilweise, Erderschütterung für November 1927. Dieser Warner eröffnet schöne Aussicht auf Auszug Israels
mit neuem Palästinazion, ähnlich eine Zeitschrift für Zionisten und Orthodoxe. So wenig wir an kabbalistische
Ziffern à la Kemmerich oder an Bindes Pfarrerangst vor leeren Kirchen und vollen Séancen glauben, scheint
Mitwissen des Allwissens durch den »Geist der Wahrheit« nach Johanni Verkündigung möglich.
Ist unser sinnliches Empfinden im Grunde nicht unsinnlich? Das erste Erwachen zum Bewußtsein ist rein psychisches
Empfinden »ich lebe«, erst hernach wird es gewahr, daß es einen Körper hat, und dieser zeigt sich als
Produkt des
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