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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Versicherungsprämie für Hurihimmel. Las vielleicht Shakespeare im Astrallicht
Gottes Tagebuch? Fromme Einschläferung (»Der Herr siehet«, »When it was light«) erhebt
fleißig Beten sogar zur sichersten Kapitalanlage: Christus erhört jedes Gebet, vergilt jede Guttat materiell
dreifach, der Herr gibt's den Seinen im Schlafe. Wenn wir uns von solcher Selbstbeschwindelung finster abwenden, verleugnet
immanente Gerechtigkeit sich dennoch nicht in jedem Stoß und Gegenstoß religiöser Vorstellung.
    Wird nun der Futterkampf nach unsichtbarer Weltökonomie geregelt, so bedürfen die wellenförmigen Biegungen
der Kulturströmung erst recht unsichtbarer Nachhilfe. Wie physische Fruchtbarkeit ein psychischer Impuls, so ordnet
Vorbestimmung auch geistige Fruchtbarkeit.
    Deshalb verteilt sie seit Anbeginn unter belanglose Massen jene winzige Überrasse prozentual wohl immer
gleichmäßig, nur bei besonderen Elektronenergüssen stärker sichtbar, die Aurignacier hatten sicher ihren
Leonardo in anderer Form. Meist aus unscheinbarem Milieu ohne Familienbeziehung spottet das Genie jeder
Evolutionserklärung und evolutioniert auch nicht die Menschheit, deren Totem-Totenkult sich mit Festessen genug tut,
nachdem sie die Hohen möglichst verhungern ließ. Man wundert sich, daß Karthago just bei seinem Untergang
Hannibal hervorbrachte, schroffsten Gegensatz semitischen Krämergeistes, noch merkwürdiger Louvertures Erscheinung
in so verachteter Menschengattung oder des Nationaldichters Petöfi aus slowakischen Rastelbindern, Auftauchen des
Genialen an allen beliebigen Orten in Palast oder Hütte, Psychisches also völlig unabhängig von
Milieubedingung. Natürlich setzt sich aber Ungleichheit aller Iche im Jenseits fort, und auch drüben darf keine
Evolution der Massenspirits erwartet werden, die steter Wiedergeburt bedürfen. Wohl gibt es plötzliche geniale
Wallungen wie ein Meerbeben in weitem Umkreis einer Zeitaufwühlung. So war eine deutsche Revolution jene Romantik, wo
Weihe der Kraft Kleists männermordende Penthesileamuse übergoldete, wo Werners Wolfsgeheul »Blutiger, sei uns
willkommen!« Kleists Amphytriospruch nachstöhnte: »Steigst du nicht in des Herzens Schacht hinab und betest
deinen Götzen an?« Feudalreaktion war nur Beigabe, man kokettierte mit ihr wie die Krüdener mit Gott, die
doch später als Pietistin echte Selbstaufopferung bewies. So konnte, während Görres und Menzel als politische
Hyänen die stinkende Leiche Rationalismus benagten, die Romantik leicht aus Auersbergs »Schutt« in
demokratische Freischützen übergehen. Heine im Hörselberg war freilich ein schmerzlicher Epilog der
Überschwenglichkeit Schellings, der »Freiheit zum Ein und Alles machen« wollte, eine Freiheit, die nach
Canossa hinkte. Man suchte wie Ibsens Frau vom Meere das Wunderbare in gar zu wunderlichen Glotzaugen, Impressionismus
ließ Farben musizieren, Töne strahlen, physiologisch nicht unwahr, doch hier unangenehm nur –
ästhetisch empfunden. Doch Helmholtz stimmt ja mit Steffens überein, daß Goethe sein Naturerkennen seinem
Dichtertum verdanke. Im eigenen Wesensgrund einer Dichterseele schlummere die Ahnung als Fackelträger, Natur sei nur
Umformung der Phantasie, inneres Wissen die Urfunktion, Naturweisheit sei Poesie, Natur sichtbarer Geist, Geist sichtbare
Natur? Solche Weltästhetik wird Phrase, denn der Geist ist eben nicht sichtbar, Naturgeist erst recht nicht, man kann
nicht sichtbare Kunst auf unsichtbare Drähte spannen. Die Genielehre vergöttlichte ja auch den Dichter als Befreier
von Natur, ihr gibt's der Herr im Schlafe. Natur als bewußtlose Poesie sei dem Kunstwerk Untertan, letzteres das
einzige Erkenntnisorgan, Wissenschaft münde nur im Ozean der Poesie. Der Ozean ließ sich aber nicht blicken, nur
lyrischer Honigseim sickerte aus allen Röhren, die Natur rächte sich an ihren Verächtern, denn gerade ihnen,
die für den Poeten göttliche Ehren verlangten, versagte sie die Magie naturvollen Schaffens. Wohl erblindete
Goethe-Faust (nach Türks trefflicher Auslegung) an Alltagssorge, doch sein unsterblich Teil strahlt immer noch, er stieg
ehrerbietig zu den Müttern herab und verlangte vom Kunstwerk nicht mehr, als es leisten kann, oft sogar weniger. Denn
nicht Kunst an sich ist das Befreiende, sondern Schauen ins schweigend allwirkende Unbekannte. Vergleicht man aber alle
Schwächen der Romantik mit den Todsünden des Klassizismus, so erfährt man, wo

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