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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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fruchtbares Seelenleben, wo
unfruchtbarer Tod. Wohl erfüllte die Paradiesschlange der neuen Poesiephilosophie nicht ihre Verheißung, doch
stellte den Individualstolz dem Prosakult der Gleichmacherei entgegen, d. h. eine Tatsache dem leeren Voraussetzen, daß
Vernunft – »bei wenigen nur zu finden« – Allgemeingut jedes Pöbelmenschen und die Menschheit
eine gleichmäßig aufzudrehende Normaluhr sei.
    Der Gegenstoß in Gervinus' lederner Naturgeschichte der Literatur entsprach einem dringenden Bedürfnis. Der
Professor, diese deutsche Krankheit, schwatzt eben unfehlbar über Kunst, von der er nichts verstehen kann, deutsche
Disziplin und Organisation machten aus Kunstbestrebung stets Kathederbelehrung, weshalb man an Maler und Musiker den
»Charakter Professor« verleiht! In Gervinus, der im Grunde ein wackerer Mann von der Art Schlossers war, dessen
Literaturabschnitte in streng pragmatischer Weltgeschichte manch gutes Wort enthalten, wechselte Rationalismus sonderbar die
Farbe. Sein Haß gegen romantisches Geniegepupe wäre wohltuend, sein Standpunkt sogar richtig, daß Dichtung
nichts mit Ästhetik, sondern mit Leben zu tun hat. Den Deutschen sei nur wohl, wenn sie Abstraktes an der Muse
aufstöbern, das wußte schon Goethe, während Taine es übertrieben den Franzosen zuschreibt und
Schulmeistern wohl überall die moderne Kunst zur Fron einer poesielosen Gelehrtenkultur anhält. In der Form aber,
wie Gervinus seine Lehre vom praktischen Leben vortrug, das mehr bedeute als Schöngeisterei, führte es notwendig
zum jungen Deutschland, das er haßte, zum Tagesliteratentum seit 1850, das er, der Shakespearekorybant und
Byronverherrlicher, wahrlich nicht wünschte. Wir haben heute eine ähnliche Erscheinung in Spengler, dessen
umfassendes Wissen, Feinheit des Kunstgefühls, geniale Selbständigkeit gegenüber den Halbwerten der
Wissenschaft wir ehren, doch seiner Prophetie vom Untergang des Abendlands geistigen Untergang bereiten möchten.
     

 
3
    Er will Herders bescheidene »Ideen z. Philosophie d. Geschichte« in ziemlich unbescheidenes starres System
bringen, was er mit Entdeckung des heliozentrischen Systems vergleicht. Stolz will ich den Spanier! Doch sein
»Blühen, Reifen, Welken, Altern, Sterben« von Kulturen und Staaten machten ihm schon die ältesten
Autoren vor, auch Unterscheiden von Kultur und Zivilisation. Daß letztere als Alterssymptom die Kultur ablöse,
läßt sich nicht so scharf auseinanderhalten. Schminke und Puder konventioneller Gesittung hält man für
Farbe eines Kulturgemäldes, doch was früher da sei, Schminktopf oder Künstlerpalette, bestimmt keine Regel.
Cheopspyramide und Nebukadnezars Babelpracht waren beide Kulturdenkmale, doch erstere entstand am Morgen Altägyptens,
letztere vor Babels Abendröte. Rassenblut untergegangener Rassen bleibt so unversehrt, daß Fellachen heute noch
altägyptischen Typ zeigen. Verlor das staatlich untergehende Hellenentum seine Kultur, die man mit der Perikleszeit
entblättert wähnt? Ihr »Verfall« krönte Alexanders Weltreich mit Kraftmenschen, neben denen die
üblichen Schulhelden erblassen, Alkibiades ein Tropf neben Demetrios Poliorketes. Von Empedokles bis Archimedes, von den
Gnostikern bis Hypatia strotzte dies untergegangene Volkstum immer noch von Kulturkraft, übernahm auch im Christentum
die geistige Führerrolle. Die untergetauchten Perser lebten als Parther wieder auf und gewannen nach arabischer
Überrennung die ghaznavidische Hochkultur, die durch Firdusi alte arische Sagen zur Nationaldichtung erhob. Ein Volk,
das erst nach staatlicher Auslöschung sein wahres Völkisches entfaltet, kommentiert ergötzlich Spenglers
Verwelkungstheorie. In seinem Register fehlt Bearbeitung sumerobabylonischer und mykenokretischer Kultur, wobei Kretas
Gewerbefleiß einfach nach Ionien übersiedelte, nachdem auch die barbarischen Achäer von Resten der Mykener
zehrten. Übergang von einer Form in die andere ist nicht Untergang. Ein Schutzgeist der Arier warf das semitische
Kaufmannswesen nieder, doch die Semiten gingen damit nicht unter, syrische Rasse zersetzte das Römerreich durch
Mythraskult, die Juden drängten sich in die Peterskirche herrschend ein. Auch römisches Imperium setzte die
Weltherrschaft im Papsttum fort, während Araber erst wieder äußern Zivilisationsschliff nach Europa brachten.
Selbst chinesische angebliche Stagnation hat ein zähes Leben und erzwingt vielleicht völkische Neugeburt.

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