Der Aufgang Des Abendlandes
so jugendlich wie die blonden Bestien des Nordens. Sozialistik war allen Morgenländern, zu denen
auch die Griechen gehörten, und den Römern fremd im Sinn von Gleichheit der Lebensansprüche, Kaste und
Sklaventum schienen ihnen natürlich geboten, wo tritt also soziale Bestrebung beim Altern vergangener Kulturen auf? Mit
köstlichem Selbstwiderspruch betont er ja auch: » Alle Weltverbesserer sind Sozialisten, also gibt es keine
antiken Weltverbesserer«, worüber sich die Gracchen, Catilina, Spartakus wundern werden, aber auch Buddha,
Mohammed, Jesus, die ihre Weltverbesserung wahrlich nicht auf materiellen Sozialismus stützten. Nur in babylonischer und
von ihr durchtränkter mosaischer Gesetzgebung trifft man soziales Einlenken gegenüber dem Sklaventum, aber
keineswegs in Verfallzeit. Obiger Satz liefert ein Musterbeispiel für Spenglers Voreiligkeit. War die große
frühreformatorische Kommunistenrevolution Wat Tylers vielleicht auch ein Symptom, daß ein alterndes England
sozialistischer Massendisziplin bedurfte? Oder die Jaquerie und der deutsche Bauernkrieg? Die damalige Gesellschaft war
dafür so wenig reif, daß sie genau entgegengesetzte Bahn ging und, altersschwach wie sie war, jetzt erst recht
nach Kräften »blühte«.
Homologie und Analogie der Organismen sind freilich auch im Völkerleben zu erkennen, und »Morphologie der
Weltgesetze wird notwendig zu universeller Symbolik« (I 63), welche übliche Phrasensprache Spenglers man
eigentlich erst ins Deutsche übersetzen müßte, »Weltgesetze« und »universell« klingt
wirklich gar zu »morphologisch« für die kleine Menschengeschichte. Vielleicht ist fein bemerkt, daß
dem modernen Naturforscher Hertz wie dem alten Spinoza der faustische Kraftbegriff fehlt (I 537), weil beide als Juden noch
dem »magischen« Denken der Semitenkultur angehören. Doch warum schworen dann die Juden Marx und Lassalle auf
Hegels arischfaustische Kraftphänomenologie? Daß 1758 der Jesuit Boskowich auf Newton Prinzipien der Dynamik
aufbaute, hat wohl noch tiefere Bedeutung, insofern Jesuitismus kirchlichen Rationalismus vorstellt. Spengler gibt zu,
daß alle physischen Naturgesetze heute relativ und nachgebetete Formeln werden (I 543–45). Doch so anregend seine
Entdeckung, daß Antike und Morgenland notwendig das Naturbild anders schauten, moderne Wissenschaft daher nur zeitlich
abendländische Spezialität bedeutet, so zog er daraus nicht die letzten Konsequenzen. Wir erinnern daran, daß
die Jesuiten den Stammbaum lieferten, »Augustin zeugte Calvin, Calvin den Jansen«, weil ihnen alle mystische
Tiefe wie im Jansenisten Pascal in der Seele zuwider war. Die Bedeutsamkeit solcher Verwandtschaft von Loyola mit Locke, von
kirchlicher mit wissenschaftlicher Dogmendisziplin begriff und vertiefte Spengler nicht. Noch heute beschuldigen sich
Freimaurer und Orden Jesu unlautern Wettbewerbs im Verfolgen gleich rationalistischer Machtziele.
Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, der Untergangsprophet verrät kein Alterszeichen, sondern ungestüme
Jugendlichkeit, die mit Wortschwall betäubt und Tabellen aufrichtet wie mosaische Gesetztafeln. Die ägyptische
Kultur, deren Bildkunst von ernster strenger Kolossalerhabenheit bis zu feinster technischer Vielseitigkeit, doch noch lange
nicht plastische Veranschaulichung einer ungeheuren Geistoffenbarung von Jahrhunderttausenden vorgeschichtlicher
Überlieferung darstellt, sei 3000 v. Chr. entstanden unter Ramses II. ins Greisenalter getreten? Der Scherz, daß
in der Hyksoszeit »Wirtschaftskomplexe« den alten Kulturstaat aufsaugten, würde die räuberischen
»Wüstenkönige« belustigen, die unter Wirtschaft nichts verstanden, als sich plündernd im Niltal
niederzulassen. Bei Beleuchtung des Tutanch-amon-Grabs setzte man sogar den Höchstpunkt auf 1800 v. Chr., als
»Amon« (Sonne) der Ketzerdynastie bis Echetnon siegte. Höchste Kultur blühte aber im Schatten von
Pyramide und Wüstensphinx schon 6000 v. Chr. gerade unter den ersten Memphisdynastien, alles Spätere war nur
Renaissance, so sehr sich noch im 2. Jahrtausend Porträtskulptur und Kleinkunst üppiger Zivilisation in Theben und
Luksor verfeinerten, doch von Altern so wenig unter den Ramses zu merken, daß noch viel später die Hyksos mit
jugendlicher Kraft hinausgejagt wurden. Thutmosis III. verfolgte sie nach Asien, doch ist unbegreiflich, daß dies die
einzige kriegerische Tat der ägyptischen Geschichte genannt wird, als
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