Der Aufgang Des Abendlandes
Indien
erreichte zwar seine Blüte unter Asoka, doch seine Literatur ging weiter bis heute, Tagore knüpft an brahmanische
Überlieferung an, Neuerhebung steht bevor. Peruanische Kultur – richtiger aztekische – starb keines
natürlichen, sondern gewaltsamen Todes, dagegen darf man nicht sagen, daß Gallierart unterging, weil Cäsar
die Druidenbibliothek in Bibrakte verbrannte, oder Angelsachsen starben, weil Normannen ihre Sprache verpönten. Statt
dessen eroberten sie eine Welt und gründeten eine Weltsprache, 550 Jahre trennen die Hastingsschlacht von Skakespeare
und Fortschreiten der Ausmerzung welscher Bestandteile. Wie will man hier Blüte und Altern zeitlich ansetzen? Die von
Römern und Franken unterworfenen Gallier brachten den Esprit Gaulois immer schärfer zum Ausdruck, ihr Volkstyp
allein gibt dem Franzosentum den Stempel. Nichts vergeht als vorübergehende Machtverhältnisse, das
Eigentümliche jeder Rasse und jeder Kultur lebt unzerstörbar fort. Die größten Staatsmächte der
Renaissance, Spanien und Türkei, sanken gänzlich von ihrer Machthöhe, doch die Türken zeigen gerade jetzt
bei ihrem Untergang neues Kulturstreben. Nach Spenglers Schema müßte in Spanien nach Verwelken seiner
künstlerischen Hochkultur müde Zivilisation gefolgt sein, die aber lange ausblieb und selbst heute ins
Hintertreffen geriet. Der Kulturglanz unter den ersten Philippen flimmerte bereits von Fäulnissymptomen, denn Spaniens
wahre Blüte liegt viel früher zurück, ehe der Imperialismus einzog, in Bürgerfreiheit wohlhabender
fleißiger Städte. Denn Blüte läßt sich so wenig nach Äußerm beurteilen wie Altern. Wie
paßt Spenglers Geschichtsrezept zu Deutschland? Engländer und Franzosen stellen sich an, als hätte 1870 ein
junges Volk neue Großmacht gegründet, tatsächlich blieben aber Deutsche und Italiener bestimmend bis ins 17.
Jahrhundert. Bis ins 16. waren die Deutschländer (les Allemagnes) die von Montaigne bewunderte Vormacht auch nach
Verwelken des Kaiseransehens. Deutsche Blüte reifte so schnell, daß sie lange vor Dante eine Nationalliteratur
schuf, was England und Frankreich erst 400 Jahre später vermochten. Dies alte Kultur- und Herrenvolk wurde aus seiner
Bahn geworfen durch eigene arische Verschuldung, Griechen und Inder trieben es ja ebenso, auch die Angelsachsen vor
normannischer Imperialbefruchtung. Doch wo nacheinander Dürer, Kepler, Leibniz, Friedrich d.Gr., Goethe und so viele
andere Kulturträger erstanden, da soll man Verfall sehen? Waren Bismarck und Richard Wagner Alterssymptome? Wenn
politische Katastrophe materielles Wohlsein zerstört (England bis Elisabeth, Frankreich bis Richelieu gingen durch
Krisen der Verelendung), so verliert die Rassenseele nicht die Fähigkeit, einem sozial veränderten Milieu neue
Kulturschätze einzufügen. Verfallzeichen treten auch im jungen Amerika hervor, wenn man darunter Überwiegen
materialistischer Zivilisierung und Versiegen schöpferischer Seelenkraft versteht. Im 17., 18. Jahrhundert gewann in
England merkantile Scheinzivilisierung die Oberhand, stieg damit die englische Hochkultur zu Grabe? Um so kräftiger der
neue Seelenschwung zur Revolutions- und Napoleonszeit; für Frankreich läßt sich Gleiches bejahen. Spengler
schulmeistert am Geschichtsbild herum, vergewaltigt es mit »Blüte, Verfall, Kultur, Zivilisation«, die sich
nie sauber ablösen. Da die Schlußperiode der Antike sich christlich gestaltete, merkt man auch keinen neuen
Einschnitt christlich abendländischer Kultur. Selbst das Bolschewistentum hatte seelische Keimzellen von Iwan dem
Schrecklichen bis Tolstoi, möchte nicht Untergang des Abendlands, sondern Verjüngung bezwecken. [Fußnote]In
Stammlers anregender Studie »Berkeleys Philosophie der Mathematik«, 1922, finden wir das Urteil: »Spengler
übersieht, daß jeder Stil des Erkennens nur Mittel zur erstrebten Einheit der Gedankenführung ist, also das
Problem der Geschichte darin besteht, dies einigende Band zu finden.
Unsere Greisenkultur bedürfe Preußentum und Sozialismus, d. h. Nivelierung der Persönlichkeit durch
Massenorganisierung? Welches »alternde« Zeitalter wies solche Züge auf? Massendisziplin der Hunnen- und
Mongolenhorden oder Türken, die sich dem Islam aufzwangen und ihr Nomadenzelt als Waffenlager in Europa aufschlugen,
ohne je über primitive tartarische Staatsauffassung hinauszukommen, haben weder mit Kultur noch Altern etwas gemein, sie
waren geschichtlich
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