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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Welch kindliche
Freude bot das biogenetische Gesetz als Spielzeug! Heute lächeln Embryologen über dies angebliche
Auszugsrepetitorium von Evolutionsmetamorphosen, denn die Tierkeime sind strukturell und chemisch grundverschieden,
Wiederholung angeblicher Ahnenreihen physikalisch ausgeschlossen. Natur, d.h. die sie bewegende unsichtbare Kraft, arbeitet
eben nicht als Schulfuchs, sondern als Künstler, sie entwirft einen allgemeinen Plan, behandelt ihn aber wie Gesetze der
Kunstästhetik, an die sich der Freischaffende nur so weit bindet, als sie seinen Mitteln und Zwecken entsprechen.
    Der Geologe Sueß hat den fruchtbaren Gedanken, das organische Leben bilde eine ökonomische Einheit, die ein
Gleichgewicht aller Wesen zur Erhaltung des Ganzen verbürgt. Ja, so ist es, erkenntnistheoretisch kann die
Materialisation nur auf solcher Grundlage gedacht werden. Durch silurische, devanische, karbonische Zeit bis ins Diluvium
rollt der Kreislauf des Lebens, er genügt zur Erklärung sowohl der Verschiedenheit der Arten als ihres
unwandelbaren Bestandes, jede hat ihre bestimmte unüberschreitbare Spezialaufgabe. Aus schärfster Analyse geht die
Synthese planmäßig moralischer Weltordnung erst recht hervor. Weit entfernt, manchesterlischen Konkurrenzkampf mit
Darwinismus-Selbstsucht und Nietzsche-Brutalität zu veranschaulichen, bringt sie vielmehr im Naturganzen geniale
Sozialisierung unter geregeltem Ausgleich von Produktion und Konsum.
    Es bezeichnet die diplomatische Feigheit des Gelehrtentums, daß heimliche Demolierer des Darwinismus sich noch
Darwinischer Formeln befleißigen. Selten wird deutlich ausgesprochen, daß wirkliche Forschung das ganze Inventar
verschimmelter Hypothesen fallen ließ. Haeckels Propaganda überzeugte das Laienpublikum vom Weiterleben einer
längst beigesetzten Leiche oder pietätvoll einbalsamierten Mumie. Und doch hofft F. Dreyer grob und ehrlich,
daß die junge Biologie sich von der »englischen Krankheit« erhole und mannbar werde! und doch bezeichnete
Prof. Haberlandt auf einer Naturforscherversammlung den Darwinismus als den größten Irrtum des 19. Jahrhunderts,
obschon den genialsten und fruchtbarsten! Das Wort »genial« sollte man nicht unnützlich im Munde
führen, ohne daß man mit Weininger übereinzustimmen braucht, daß es auf wissenschaftlichen Verstand
überhaupt unanwendbar sei. Die kostbare Serie Ostwalds über Größen der Menschheit, wonach nur
Naturforscher als geistige Leuchten gelten dürfen, erregt nur mitleidiges Lächeln, und Liebigs Behauptung,
daß Phantasie zur Chemie nötig sei, stimmt zwar in gewissem Grade (siehe Crookes), hebt aber nicht auf, daß
etwas Schöpferisches von Wissenschaft nur in sehr bedingtem Sinne zu erwarten ist. Kant und Schopenhauer hoben dies
kräftig hervor, Dichtung sei veranschaulichte Philosophie, Kunst die »Idee« selber, das geistige
Ding-an-sich. Schopenhauer belegt seine Lehrsätze durch Zitate aus Byron und Berufung auf dessen »unsterbliches
Meisterwerk Kain«. Wer das Organ dafür hat, findet in Shakespeare, Goethe, Byron mehr kosmische Belehrung als in
sämtlichen Wissenschaften. Geistreich ist Darwins Hypothese, aber nicht mal Original, denn den eigentlichen
Grundgedanken nahmen asiatische Weise längst vorweg, er verzierte nur mit reizvollen Arabesken und verunzierte mit
willkürlichen Einfällen! Fruchtbare Wirkung? Ja, negativ, denn indem er unsäglichen denkerischen und
sittlichen Schaden angestiftet, schärfte er vielleicht den Blick zur Öffnung und Beschreitung des
gegensätzlichen Weges. G. Wolf bezeichnet die Bedeutung dieser Irrlehre nicht nur als Null, sondern positiven Verlust,
weil sie vom rechten Wege ablenkte. Nach unserer Weltanschauung kommt freilich solcher Verlust nicht vor, denn auch auf
geistigem Gebiet ist alles Geschehen notwendig. Wir begrüßten den Spektakel als den einzig möglichen Trick,
dem sonst unvermeidbaren Pessimismus der Materieversklavung einen schmeichelhaften Optimismus anzulügen, da
Emporführung aus dem Knorpelfisch den Menschen gewiß noch zum Ganz-Gott machen wird! Ein wissenschaftlicher
Halbgott ist er ja schon; gottähnliche Wissenschaft wird uns ein soziales Paradies und am Ende noch wie einen in die
Metzelsuppe beigegebenen Markknochen eine irdisch fortgesetzte Unsterblichkeit bescheren. So schlug man manche Fliegen mit
einer Klappe: Kitzelt den Gelehrtendünkel, berauscht den menschlichen Größenwahn mit trügerischer
Zukunftshoffnung und

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