Der Aufgang Des Abendlandes
gehört zur Geschichte der verlehrten Dummheit, wenn Humanisten und
Philologen Homerische Epen und griechische Tragiker hoch über Nibelungenlied und Shakespeare setzten. Doch umgekehrt
wäre töricht, Shakespeare, weil unserm Ideal entsprechender und relativ reicher, für größer als
Äschylos, den Urvater und Gründer des Dramas, zu halten. Daß moderne Dichterkraft an sich der antiken nicht
überlegen, zeigt Vergleich von Goethes Iphigenie mit jedem bessern Hellenendrama. Euripides war gewiß so
geistreich wie irgendein Moderner und Aristophanes relativ so witzig wie Swift, Herodot, ein Repräsentant historischer
Morgendämmerung, vollbrachte als Gründer der Geschichtswissenschaft relativ das Hundertfache als jeder spätere
Historiker. Übrigens ist ergötzlich bei Thukidides und Tacitus zu beobachten, wie antike Historiker und Politiker
geradeso vor politischen Verbrechen und Unsinnigkeiten warnten wie heutige vor dem Weltkrieg. Einzelschriften wie A. Schwan:
»The great Solution« und politische Artikel der »English Revieu« bis 1914 stellten das Unheilvolle
der Deutschenhetze in helles Eicht, sicher war auch die Mehrzahl der Engländer gleicher Meinung, dennoch siegte die
Unvernunft. Denn der Homo sapiens ändert sich nie.
Die letzte Ausrede, Evolution bewege sich wellenförmig in Kurven, nach jedem Rückstoß gebe es wieder einen
Aufwärtsruck, ist so sinnlos wie alle andere Evolutionsmythologie. Denn da alles relativ, kann es wirkliche
Aufwärtsbewegung nicht geben, immer nur Oberflächenwertung einseitiger Beobachtung. Tröstet es über den
Verfall altägyptischer und akkadischer Hochkultur, umrahmt vor- und rückwärts teils von Urkultur der
Aurignacier, teils von mykenisch-kretischer, daß nach Jahrtausenden steriler Rauferei eine kurze hellenische Blüte
sich aufreckte, um in sieben Jahrhunderten kulturloser Römerzivilisierung zu versinken? Tröstet es über ein
Jahrtausendmittelalter relativen Rückschritts, daß Renaissance und Reformation einen rund hundertjährigen
relativen Aufstieg brachten? Tröstet es über den Menschheitszusammenbruch des Weltkriegs, daß dem öden
Maschinenzeitalter des technischen Spezialismus eine Krampfanstrengung der Napoleon- und Goethe-Zeit voraufging, die
ihrerseits einer widrigen Epoche der Pedanterie und übertünchten Gemeinheit folgte? Nach jedem Fort- und
Rückschritt ist die Menschheit genau so weit wie vorher, selbst der Begriff Transformation ist einzuschränken, denn
umgewandelt werden nur Milieustände, nie ethisch und intellektuell die Menschen. Die Assyrer waren ein hartes
Militaristenvolk wie Preußen, aber Ehrfurcht vor literarischem Streben ist ihnen nicht abzusprechen, und sie gingen
viel würdiger unter als die Neudeutschen. Assurbanipal würde einen Wilhelm verachten und seine eigene Bemühung
um Literatur und Kunst für viel kultureller halten als die Berliner Mischpoke. Das äußere Milieu von Ninive
und Babel war unendlich glanzvoller und einem Künstlerauge angenehmer als ein Berlin mit Siegesspargel und
Puppenallee.
Nichts komischer als der frühere Hereinfall mit der angeblichen Gehirnzunahme des modernen Menschen, siehe die
Neanderthaler, dabei wissen wir noch gar nicht, wie vollendet die inneren Gehirne der Ägypter, Chaldäer, Hellenen
ausgesehen haben mögen. Die Moderne endete als Größenwahn wie der Turmbau zu Babel, nach welchem die
Völker zerstreut wurden, solchen Aufwand von Bosheit, Grausamkeit, Perfidie wie der Weltkrieg hat relativ kein Altertum
und Mittelalter aufzuweisen. Als Frucht solcher Entwicklung macht das jüngste Geschlecht auch den Spruch »Not
lehrt beten« zunichte, Wut und Verzweiflung der Besiegten und Raub- und Prahlsucht der Sieger verdoppelten nur ihre
Herzenshärtigkeit und geile Genußsucht. Sodom und Gomorra müssen ihre wenigen Gerechten zusammentrommeln, um
dem Pech und Schwefel den Rücken zu wenden. Nur Hyänen des Schlachtfelds schleichen als Leichenschänder herum,
jeder sucht aus dem Augiasstall sein goldenes Schäfchen ins Trockene zu bringen. Als die Griechen das Märchen von
Sardanapal erfanden, wie er sich mit Ninive verbrannte, um nicht dem Feinde einen Triumph zu gönnen, lehrten sie, was
sich zieme. Heute desertiert man mit Millionen ins Ausland und läßt die Dummen daheim verbrennen. Das ist
Evolution der christlichen Seele.
Im Essay über »Self Reliance« sagt Emerson: »Jeder will die Gesellschaft verbessern, keiner
verbessert sich selbst. Die
Weitere Kostenlose Bücher