Der Aufgang Des Abendlandes
schwört, möge man bedenken, daß nicht einer von diesen den wirklichen Buddhismus kannte, auch nicht die
Vedantalehre, daß sie aber sämtlich Formen indischen Denkens, sei es nach der einen oder nach der andern Richtung,
bei sich aufweisen und daher ihr eigenes Spekulieren als epigonisch, unvollständig, unvollkommen neben Buddhas
Weltsystem erkannt hätten. Nicht minder erheitert es, wenn sogenannte Theosophen sich auf Buddhismus berufen, den sie
gar nicht kennen, wie Schopenhauer allen Ernstes Pessimismus, Askese, Primat des Willens, Welt als Ichvorstellung aus einem
fiktiven Buddhismus herauslas, während Buddha Pessimismus und Askese verpönt, die Natur als relativ wirklich und
umgekehrt das Ich als bloße Vorstellung auffaßt, den Willen als bloße Kausalerscheinung von Empfindung und
Wahrnehmung abhängig macht. Unter esoterischem Buddhismus verstehen Unkundige die Vedantalehre, die ja gerade der
buddhistischen widerspricht, wobei wir unsererseits die erstere keineswegs ablehnen, sondern ihren Gottes- und Seelenodem
nicht minder als Wahrheit spüren wie Buddhas anderweitige Erkenntnis. Er war wie Jesus ein propagandistischer
Revolutionär, der den Laien und Frauen das gleiche Maß der Erleuchtung zukommen ließ, das die Brahminenkaste
nur für sich beanspruchte. Gautama war nicht umsonst ein geborener König wie sein Nachfolger Asoka, da wirkliche
Demokratie nur von Königen und Aristokraten erwartet werden kann. Aus dieser demokratischen Kampfstellung und seinem
Bestreben, eine Geistesaristokratie aus allen Ständen zu gründen, erklärt sich manche Schroffheit. Indem er
jeden supranaturellen Eingriff göttlicher Vorsehung ableugnete, wollte er die Priester und den gesamten
Götteraberglauben ins Mark treffen. Wir sind daher nicht geneigt, uns jede buddhistische Kategorie gefallen zu lassen,
sondern ergänzen sie durch Grundzüge der älteren Urweisheit. Die strenge und im höchsten Sinne
wissenschaftliche Logik steht freilich auf Buddhas Seite. Doch das Weltgeheimnis ist kein Spielzeug der Logik, auch ist man
nicht unbedingt sicher, ob man Buddhas eigenes Denken über den letzten zureichenden Grund, den zu begrübeln er
seinen Jüngern verbot, richtig einschätzt. Jedenfalls wirkt es tragikomisch, daß ausgerechnet Buddhismus bei
Unwissenden als mystisch und abstrus gilt, während er vom Standpunkt der Upanischaden als krasser Rationalismus
erscheint. Doch es scheint nur so, denn tatsächlich kommt er auf anderm Weg zum Ziel.
Kamma oder im Sanskrit Karma heißt zugleich Werk und Handlung, was immer unendliche Ursachen und unendliche
Wirkungen voraussetzt, als »Gedanke, Wort, Tat«, wie schon Zoroaster wußte. Die Vedanta dachte auch hier
animistischer: »Was der Gestorbene ist, heißt ›Name‹, was ohne Ende ist und ihm die endlose Welt
erwirbt«, wobei Name natürlich den erworbenen Charakter bedeutet, »Wissen und Handeln« bestimmen sein
künftiges Geschick. Von Wissen will Buddha hier nichts wissen, nur Handlungen und Vorsätze bestimmen die
Wiedergeburt. Ungleichheit der Umstände und Schicksale beruht nur auf den Werken, für deren Eigentümer und
Erben sie seine eigentliche Abstammung sind, durch die sein Lebensstand festgestellt wird. Da Buddha das Ich ausstreicht,
kann natürlich nicht das Ich wiedergeboren werden, sondern nur die Essenz dieses Schein-Ich in dessen Worten und Werken.
Hier erinnere man sich, mit welcher Naivität der Europäer auf die Identität des Ich in allem Praktischen baut
und darauf bindende Verträge schließt, obschon wissenschaftlich bewiesen, daß wir materiell täglich
wechseln und ebenso alles andere um uns her. Nichtsdestoweniger ist der Satz »Geschichte wiederholt sich nie«
ebenso leichtfertig halbwahr, wie »nichts Neues unter der Sonne«. Denn unter dem immer neuen Wechsel bleibt ein
Beharrendes, die Wiederkehr des Gleichen. Daß die Präexistenzen vergessen werden, ist nicht nur praktisch weise
eingerichtet, sondern naturgemäß, weil die ganze aufgespeicherte Vergangenheit allgegenwärtig im Ich
weiterlebt, dem deshalb das Unterscheidungsvermögen fehlt. Erst im Alter erinnert man sich wieder der Kindheit, erst
beim Sterben oder psychischem Absterben des Ich erwacht plötzlich im Gedächtnis die Präexistenz, beide
Vorgänge sind ganz naturkausal. Nur muß man festhalten, daß sowohl der Präexistente als der
Reinkarnierte nicht derselbe sind wie der Gestorbene und dennoch kein Anderer. Was man in dieser Hinsicht gegen
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