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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Ähnliches mit B's Mutter, der keinen Vater, wie A keine Mutter kannte. Wenn aber
A und B dies für einen besonders hinderlichen Karmafluch hielten, so mag vielleicht C für sich anderer Meinung
gewesen sein. Es gewinnt den Anschein, daß bei so allgemeiner Identität auch Kleinigkeiten nicht zufällig
sein können und daß vermutlich ein Sterbender – auf die Todesstunde legen die Inder besonderen Wert –
die Macht hat, über sein künftiges Milieu teilweise zu bestimmen. Was er für Verbesserung seiner Lage zur
Vermeidung von Leid und Schuld wünscht, wird ihm in der Wiedergeburt – ohne daß sich damit sein Los
wesentlich ändert, denn nur Verblendung hält Form für Norm. Was sich allein ändert im Guten und
Bösen, geschieht als Kausalfolge seiner früheren Handlungen.
    Wird man aber nach Durchdenken obiger Beispiele noch Buddha beipflichten, daß es gar kein Selbst gebe? Man muß
immer festhalten, daß Ich nur eine Form von Selbst. So zeigen z. B. A, B, C gleichmäßigen Bekennermut der
Wahrheitsliebe, also ursprüngliche Tapferkeit, aber A und C zwang ihr schwaches Milieu öfters Anfälle
physischer Furchtsamkeit auf, während dem B seine Lebensstellung die Kraft gab, rücksichtslos kühn sich
auszuleben. Nun verstrickt zwar alles sich Ausleben in seelische und materielle Gefahren, aber wem es sein Schicksal
verweigert, trägt ein Joch des Unbefriedigtseins, das ihn seelisch niederdrückt. Wenn A daran zugrunde ging, C
nicht, so verdankt es C der stolzen trotzigen Mutausbildung des B. Jede Art von physischem Mut im Weltkampf ist nur
Milieusache, nur der moralische Mut, gleichbedeutend mit Idealismus, ist das Wirkliche und Bedeutungsvolle. Man könnte
eine Tabelle aufstellen, welche Eigenschaften dem Ich und welche dem Selbst angehören. Das Selbst von A, B, C gleich
heldenhaft und idealistisch, das Ich dagegen sehr verschieden an physischem Mut, wobei C wieder Mischung von A und B. Es
scheint sogar, als ob auch die Ausdrucksform, in der sich Genialität entladet, nur Milieusache wäre. Napoleon und
Friedrich behaupteten, sie seien zum Schriftsteller geboren, empfanden ursprünglich Abneigung gegen alles
Militärische, Bismarck gegen alles Diplomatische, wir können ihn uns in anderem Milieu etwa als einen höheren
Treitschke denken. Unser B mißachtete manchmal seinen Genieberuf und seufzte nach kriegerischer Aktivität, welchen
Zug er schärfer ausgeprägt auf C vererbte, der möglichenfalls seinen »Beruf verfehlte« und unter
anderen Umständen ganz etwas anderes hätte »werden« sollen. Man »wird« eben nur, was die
Kausalität will, und da jede echte Genialität innerlich universal und unteilbar, so kann sie sich im vielfachsten
Wechsel ausdrücken. In Leonardo steckten zugleich die kleineren Möglichkeiten eines Vauban, Lesseps, Watt, Fulton,
Zeppelin oder die größeren eines Kepler, Helmholtz und Giordano. Daß die Wiederkehr bestimmter Genietyps
schon manchem sich aufdrängte, der von Karmalehre nichts wußte, darüber sehe man Gutzkows »Briefe eines
Narren«, wo Rousseau, Jean Paul, Byron und – Bettina v. Arnim als Identitätskette verknüpft. Die
unsinnige Anziehung von Paul und Bettina zeigt aber, wie sehr man strengerer Denkdisziplin und tieferen Wissens bedarf, um
Reinkarnierung zu erforschen.
    Voraussichtlich fordert diese Auseinandersetzung wohlfeiles Gespöttel und hämische Kommentare heraus, wenn
Neugier die veranschaulichten Beispiele wörtlich beim Namen sucht. Da würde man um so mehr straucheln, als eins der
drei Glieder für Nachforschende nur ein unbekanntes X sein könnte. Man kann indessen einwenden, daß
Identität von Geist, Charakter und dem dadurch bedingten Schicksal vorliegen möge, dagegen Identität konkreter
Einzelheiten nur Einbildung, Zusammensuchung täuschender Zufälligkeiten sei. Gewiß, es öffnen sich da
mancherlei dunkle Wege. So wurde z. B. ein größerer als unser B 200 Jahre früher in gleiche Nation unter
gleichem Milieu geboren und starb genau im gleichen Alter. Bei beiden das 24. Lebensjahr von besonderer Bedeutung,
zögernde Werbung um und unglückliche Ehe mit einer geistig hervorragenden Frau von erschreckender Ähnlichkeit,
revolutionäre Haltung, Familienzwist, edelste Anlage bei überstolzem, leidenschaftlichem Temperament gleich, auch
viel in geistiger Struktur ähnlich. Bei physischem Defekt, zwar verschieden, doch als Verkrüppelung reizbare
Abnormität verursachend, persönliche Verschiedenheit nur in

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