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Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)

Titel: Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Bayertz
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Möglichkeit der Mittheilung und des Austausches gewesen sein, wenn nicht ein Mittel gefunden war wodurch ihr lebendiges Schaffen sich offenbar machen konnte.» Zum einen wird die Sprache damit in den Kontext eines Schöpfungsplanes gestellt, in dem sie eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat. Die aufgezählten anatomischen und physiologischen Details umreißen lediglich die ‹proximaten› Ursachen der Sprache; ihre ‹ultimaten› Ursachen liegen bei Gott. Und zum anderen wird sie als ein Organ der Vernunft eingeführt, deren Inhalte sie nach Außen transportiert. Gregors Sprachauffassung schließt sich damit nahtlos an jenen Instrumentalismus an, der die aristotelische und galenische Auffassung der Hand und des Körpers insgesamt geprägt hatte: Die Vernunft ist primär, die Sprache dient ihr als Instrument. Bezeichnenderweise vergleicht Gregor die Sprache mit einem Musikinstrument, das ein Musiker benutzen muss, um anderen seine musikalischen Ideen mitzuteilen.
    Sofern in den folgenden Jahrhunderten ein Zusammenhang zwischen aufrechtem Gang und Sprache hergestellt wurde, geschah dies in Anlehnung an dieses Modell einer Kombination von proximater Physiologie und ultimater Theologie; so bei Thomas von Aquin. (STh 91,3) Erst in der Neuzeit begann sich diese Verbindung zu lockern und ihr theologischer Teil in den Hintergrund zu treten. Im 17. Jahrhundert brachten einige Autoren den Mut auf, materialistische Deutungsansätze der Antike affirmativ aufzugreifen; und in der Folgezeit intensivierten sich die Bemühungen um eine natürliche Erklärung der Sprache. [8] Einflussreich war vor allem der an Locke anknüpfende Ansatz des Abbé de Condillac. Der aufrechte Gang spielt in diesen Theorien keine prominente Rolle. Zu weit entfernt schien diese körperliche Besonderheit des Menschen von seiner Sprachfähigkeit zu sein; und die Überlegungen Gregors waren außerhalb der Theologie wohl in Vergessenheit geraten. – Verlass ist jedoch auf Herder! Wir kennen seine Vorliebe für den aufrechten Gang bereits und müssten uns wundern, wenn ihm nicht auch im Hinblick auf die Sprache eine Schlüsselstellung zugesprochen würde. In der Tat stoßen wir in den Ideen gleich auf zwei Verbindungen. Die erste ergibt sich daraus, dass die senkrechte Haltung den Menschen von der Erde entferne und dadurch von der Vorherrschaft des Geruchs und Geschmacks befreie. Indem Auge und Ohr, die Organe der «edleren» Sinne, jetzt eine führende Rolle übernähmen, werde die Sprache möglich. Wir haben das wahrscheinlich so zu verstehen, dass die aufrechte Haltung den Horizont des Menschen erweitert und damit auch seine Erfahrungen; der Geist wird mit einer größeren und differenzierteren Menge an Informationen versorgt und das Bedürfnis nach sprachlicher Äußerung intensiviert. Zum zweiten schaffe erst die aufrechte Haltung die anatomischen und physiologischen Voraussetzungen für eine artikulierte Lautsprache, die ohne einen spezifischen Bau des Brustkorbes, der Luftröhre und der Zunge nicht möglich wären. Hier bestünden hochbedeutsame Differenzen zum Tier. «Aber den Menschen baute die Natur zur Sprache; auch zu ihr ist er aufgerichtet und an eine emporstrebende Säule seine Brust gewölbet. Menschen, die unter die Tiere gerieten, verloren nicht nur die Rede selbst, sondern zum Teil auch die Fähigkeit zu derselben; ein offenbares Kennzeichen, dass ihre Kehle mißgebildet worden und dass nur im aufrechten Gange wahre menschliche Sprache statt findet.» (1784: 130) Dieser zweite Gedanke erinnert an Gregor und ist wohl auch nicht vollkommen unabhängig von theologischen Hintergrundannahmen. Ob Herder die Sprachentstehung allgemein von allen solchen Annahmen gelöst hat, ist in der Forschung ebenso umstritten wie die konzeptionelle Grundlage der Ideen insgesamt.
    Herders Sprachtheorie war das Produkt einer Umbruchs- und Übergangsperiode, in der große Schritte in Richtung auf eine natürliche Erklärung der Sprache und ihres Ursprungs getan wurden, die aber den traditionellen teleologischen Denkrahmen nicht definitiv zu sprengen vermochte. In diese Periode gehört auch Wilhelm von Humboldt, der in seiner Schrift Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues die Angemessenheit des Sprachlautes zu den Operationen des Geistes betont und dabei nebenbei auch den aufrechten Gang erwähnt: «Zum Sprachlaut endlich passt die, den Thieren versagte, aufrechte Stellung des Menschen, der gleichsam durch ihn emporgerufen wird. Denn die Rede

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