Der aufrechte Gang: Eine Geschichte des anthropologischen Denkens (German Edition)
Menschen; das Bild dieses Lebens hat sich aber stark verdüstert. Zum anderen ist sie das Produkt jenes göttlichen Atems, der jederzeit wieder entzogen werden kann. Sie ist weniger der Ausweis einer Bevorzugung als die Erinnerung an seine Abhängigkeit von Gott. Seinen unerforschlichen Ratschlüssen ist der Mensch hilflos preisgegeben; den schmerzhaften Schicksalsschlägen, die ihm aus diesen Ratschlüssen erwachsen, wird der Mensch erst in jener künftigen Welt entzogen sein, auf die seine Gestalt ihn nur verweist. [8] Der Mensch steht nicht fest und sicher auf seinen Füßen, weil es in dieser Welt keine Festigkeit und Sicherheit gibt. Auch bei Donne ist die aufrechte Haltung ein Zeichen für die besondere Stellung des Menschen in der Welt; aber Donnes Welt ist eine ganz andere geworden. Wie auch schon zuvor die Welt Montaignes ist sie kein Kosmos mehr: keine sinnvolle und vernünftige Ordnung.
Angebahnt hatte sich dieser Umbruch schon seit langem. Als die Kirchenväter die antike Idee der Welt als eines Kosmos aufgriffen, waren sie davon ausgegangen, ihr die Idee eines transzendenten Gottes einfach hinzufügen zu können. Sie übersahen dabei aber, dass der Kosmos seinen antiken Status nicht behalten kann, wenn ein transzendenter Gott existiert; denn er ist jetzt nicht mehr die einzige und nicht mehr die höchste Realität. Die christliche Lehre verschärft eine Abwertung der Welt und der Natur, die schon bei Platon angelegt war. Ihr Kosmos ist von vornherein metaphysisch depotenziert und hat durch den Sündenfall weiter an Dignität verloren. Auch wo es ausdrücklich an die antike Kosmologie anzuknüpfen sucht, ist das christliche Weltbild daher nur ‹parakosmologisch›. – Dass die Idee einer christlichen Kosmologie eine metaphysische Mesalliance war, zeigt sich auch an ihrem ethischen Nachwuchs. Ein im christlichen Sinne gutes Leben kann niemals ein an der Welt ausgerichtetes Leben sein; es muss sich an dem trans zendenten Gott und seiner Offenbarung orientieren und die Welt als ein Hindernis begreifen. – Wie schrill die Disharmonie von Gott und Kosmos ist, wird unüberhörbar, wenn wir fragen, (1) warum Gott die Welt geschaffen hat und (2) warum er sie so geschaffen hat, wie er sie geschaffen hat. Denn die Suche nach einer Antwort führt in ein Dilemma. Werden nämlich irgendwelche Gründe angeführt, von denen sich Gott bei der Schöpfung der Welt leiten ließ, so machen diese die Erschaffung der Welt und ihre Ordnung zwar verständlich und nachvollziehbar; sie führen zugleich aber zu einer Einschränkung der freien Entscheidung Gottes. Wie der platonische Demiurg, der die Welt den präexistenten Ideen nachbildet, ist er kein souveräner Schöpfer mehr. Eliminiert man hingegen alle Gründe und führt die Schöpfung auf den puren Willen Gottes zurück, so ist der Souveränitätsverlust vermieden; allerdings um den Preis einer zweifachen Kontingenz: Weder für die Existenz der Welt noch für ihre Ordnung können vernünftige Gründe angegeben werden.
Über viele Jahrhunderte blieb dieses Dilemma latent, bis im 13. Jahrhundert eine einflussreiche Strömung der Theologie die göttliche Souveränität mehr und mehr in den Vordergrund rückte und Gott zu einem absoluten Herrscher machte, der in seinem Wollen und Wirken keinen Beschränkungen unterliegt. Er konnte die Welt schaffen, aber auch nicht; und als er sie schuf, konnte er sie so schaffen, wie er es wollte. Die logischen Gesetze, die Naturgesetze und auch die moralischen Gesetze lagen der Schöpfung nicht voraus, sodass Gott an sie gebunden gewesen wäre, als er die Welt schuf; vielmehr wurden sie von ihm zusammen mit der Welt geschaffen. Und das heißt: Hätte er nur gewollt, so hätte er die Welt auch mit ganz anderen logischen, physikalischen oder moralischen Gesetzen schaffen können; eine Welt beispielsweise, in der der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht gilt, in der die Entropie abnimmt, und in der Mord eine lobenswerte Tat ist. Unter den 219 Thesen, die der Bischof von Paris am 7. März 1277 öffentlich verurteilte, befanden sich daher mehrere, die Einschränkungen der göttlichen Allmacht hätten implizieren können; darunter die folgende: «Alles, was unmittelbar von Gott bewirkt wird, muß er mit Notwendigkeit tun.» Dem hält der Bischof in seiner 53. These entgegen: «Dies ist ein Irrtum, sowohl wenn man es im Sinne der Zwangsnotwendigkeit versteht, weil es die Freiheit zerstört, als auch im Sinne notwendiger
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