Der Aufstand
später in sein Zimmer gekommen war, um nach ihm zu sehen.
Zum ersten Mal schrie sie ihn nicht an, weil er mit den Schuhen im Bett lag. Er hörte, wie sie die Tür schloss und ihre weichen Schritte sich entfernten. Etwas später verriet ihm das Dieseltuckern des Transit, dass sein Vater und sein Bruder Cormac nach Hause gekommen waren. Von unten drangen nun weitere laute Stimmen herauf, bevor sich eine unnatürliche Stille über das ganze Haus legte.
Nun war es dunkel im Zimmer. Viel Zeit war vergangen, und dabei hatten Decs Gefühle begonnen, sich zu verändern. An die Stelle der lähmenden Verzweiflung trat mehr und mehr eine rasende Wut. War er soeben noch auf dem besten Weg gewesen, jeden Lebensmut zu verlieren, quoll er nun fast über vor Energie, und seine Konzentration verengte sich immer mehr auf einen einzigen Punkt, bis er an nichts anderes mehr denken konnte.
Er sprang aus dem Bett, riss die Zimmertür auf und rannte an Cormacs Tür vorbei ans Ende des Flurs, wo die Tür zum Elternschlafzimmer offen stand. Über dem Kopfende des Betts seiner Eltern hing ein schweres Kruzifix aus Messing. Er ging zu ihm und streckte schon die Hand nach ihm aus, zog sie dann aber schuldbewusst wieder zurück.
Ich leihe es mir ja nur aus
, dachte er.
Und so schrecklich religiös sind sie sowieso nicht.
Es riss es von der Wand und wog es in der Hand. Es fühlte sich gut an, wie eine Waffe. Er stellte sich schon vor, wie er diesen Ungeheuern gegenübertrat, einen von ihnen packte und ihm das stumpfe Ende des Metalls ins Herz stieß. Er malte sich aus, wie das Monster aufschrie und zusammenschrumpfte, um schließlich wie Flocken verbrannten Papiers vor seine Füße zu fallen. Dann würde er das Häufchen vor ihm mit einem Fußtritt in eine Aschewolke verwandeln, um sich anschließend gleich den nächsten Schweinehund von einem Vampir vorzuknöpfen. Er würde sie alle zur Hölle schicken, wo sie hingehörten.
Er schob das Kruzifix wie einen Dolch in seinen Gürtel und fühlte sich plötzlich unverwundbar. Von einem heiligen Zorn erfasst, sprang er, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab und wäre fast mit seiner Mutter zusammengestoßen, die mit einem Becher Tee und einem Teller Kekse auf dem Weg nach oben war.
«Ich dachte, du möchtest vielleicht –», begann sie.
«Ich muss weg und brauche den Clio, okay?»
Ihr verblüffter Blick landete auf dem Kruzifix in seinem Gürtel. «Was willst du denn mit dem Ding da?»
«Ein paar Vampire töten.»
«Was?»
«Bis dann, Ma.» Er sprang die restlichen Stufen hinab und sah, wie sein Dad und Cormac im Wohnzimmer vor dem Fernseher saßen. Ihre trüben Gesichter ließen keinen Zweifel daran, dass sie das von Kate gehört hatten. Cormac murmelte etwas und schüttelte den Kopf, während er eine Dose Lager aufriss und Schaum über seine Jeans spritzte. Beide blickten auf, als Dec auf dem Weg zur Haustür an ihnen vorbeischoss.
«Alles klar mit dir, Junge?», rief sein Vater ihm besorgt nach. Dec aber hörte ihn kaum, als er die Autoschlüssel seiner Mutter vom Haken an der Tür nahm.
Mrs. Maddon kam rumpelnd die Treppe herunter und lief ihrem Sohn hinterher. «Du hörst mir jetzt mal zu …»
«Bis später, Ma.»
«Liam, sprich du doch mal mit ihm!», rief sie ihrem Mann zu. «Cormac!»
Dec aber war bereits aus dem Haus. Er sprang in den Clio, setzte mit durchdrehenden Reifen auf der Einfahrt zurück und raste davon.
Er wusste genau, wo er hinwollte.
[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 47
A lex glaubte fast, Cheap Eddies Zigarre durchs Telefon zu riechen, als er sie zurückrief.
«Sie haben sich aber ganz schön viel Zeit gelassen», sagte sie kühl. «Ich warte schon seit Stunden.» Sie schaute beim Sprechen auf ihre Armbanduhr. Es war 21.42 Uhr.
«Ich sollte mich doch gründlich umsehen, oder nicht?»
Er gab ihr die Adresse durch. Noch während er redete, wendete sie den Wagen und fuhr in nördlicher Richtung auf Harlesden zu. Das Navigationssystem zeigte fünfunddreißig Minuten Fahrzeit an, aber das Gerät wusste nicht, wer da am Steuer saß. Schon kurz vor zehn war sie in Harlesden, und fünf Minuten später stellte sie den Jaguar in der schmuddeligen Straße ab, in der Paulie Lomax wohnte. Ein paar Kids lungerten in der Nähe herum und beäugten interessiert den Wagen, zuckten jedoch auf der Stelle zurück, als sie ihnen vielsagend zulächelte.
Die Betontreppe, die zu Paulies Wohnung hochführte, stank nach Pisse und Bier, und die Graffiti an den
Weitere Kostenlose Bücher