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Der Aufstieg des Hotel Dumort

Der Aufstieg des Hotel Dumort

Titel: Der Aufstieg des Hotel Dumort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Köbele
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Weggefährten, sondern weitestgehend um Fremde. Die Hotelleitung nahm dies nicht sonderlich erfreut auf.
    Wobei das auch nicht ganz stimmte. Alfie war von Beginn an dabei und hatte sich inzwischen dauerhaft auf Magnus’ Sofa eingerichtet. Seine Laune hatte sich im Laufe der Zeit weiter verschlechtert. Morgens verließ er die Suite, um zur Arbeit zu gehen – was auch immer das war –, kam betrunken zurück und blieb für den Rest des Abends in diesem Zustand. Irgendwann ging er nicht mehr arbeiten.
    »Es wird immer schlimmer, Magnus«, klagte er eines Nachmittags, als er aus einem whiskeybedingten Vollrausch erwachte.
    »Aber sicher wird es das«, antwortete Magnus, ohne von seiner Ausgabe von Krieg und Frieden aufzuschauen.
    »Ich meine es ernst.«
    »Aber sicher tust du das.«
    »Magnus!«
    Entnervt hob Magnus den Kopf.
    »Es wird immer schlimmer. Das hält nicht mehr lange. Es fängt schon an zu bröckeln. Siehst du das?«
    Er wedelte mit einer Zeitung.
    »Alfie, ein bisschen konkreter musst du schon werden. Es sei denn, du sprichst von dieser Zeitung – die scheint mir nämlich vollkommen in Ordnung zu sein.«
    »Ich meine«, Alfie richtete sich mühsam auf und blickte über die Rückenlehne des Sofas zu Magnus, »dass das gesamte Finanzsystem der Vereinigten Staaten jeden Moment zusammenbrechen könnte. Alle haben immer gesagt, dass das passieren könnte, und ich hab ihnen nie geglaubt. Aber jetzt sieht es so aus, als könnte es wirklich dazu kommen.«
    »So was passiert.«
    »Wie kann dir das egal sein?«
    »Gewohnheit«, antwortete Magnus, wandte sich wieder seinem Buch zu und blätterte weiter.
    »Ich weiß nicht.« Alfie rutschte wieder ein Stück tiefer. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht kommt ja wirklich alles wieder in Ordnung. Das muss es doch, oder?«
    Magnus machte sich nicht die Mühe, ihn darauf hinzuweisen, dass das nicht das war, was er gesagt hatte. Alfie schien besänftigt zu sein und das reichte ihm. Aber Magnus hatte in seiner Lektüre den Faden verloren und verspürte keine Lust mehr weiterzulesen. So langsam gingen ihm seine Besucher gehörig auf die Nerven.
    Nach ein paar Tagen war Magnus ihrer Gesellschaft überdrüssig, brachte es aber nicht über sich, sie kurzerhand vor die Tür zu setzen. Das gehörte sich nicht. Stattdessen mietete er einfach eine weitere Suite auf einem anderen Stockwerk und kam nicht mehr zurück. Den Gästen fiel seine Abwesenheit zwar auf, es interessierte sie jedoch nicht besonders, solange ihnen die Tür zu Magnus’ alter Suite offenstand und niemand den Zimmerservice abbestellte.
    Magnus versuchte, sich die Zeit mit gewöhnlichen Unternehmungen zu vertreiben – Lesen, Spaziergängen im Central Park, einem Tonfilm oder einer Show, ein bisschen Shopping. Die Hitze ließ endlich nach und mildes Oktoberwetter legte sich über die Stadt. Einmal mietete er ein Boot und verbrachte den Tag damit, um Manhattan herumzudümpeln und die Gerippe der vielen neuen Wolkenkratzer zu betrachten, während er darüber nachdachte, was wohl passieren würde, wenn tatsächlich alles zusammenbräche, und inwieweit ihn das zum jetzigen Zeitpunkt interessierte. Er hatte schon mehrmals mitangesehen, wie Regierungen und Wirtschaftssysteme untergingen. Aber diese Leute … diese Leute wollten immer höher hinaus – und fielen darum umso tiefer.
    Also genehmigte er sich Champagner.
    Ihm fiel auf, dass sich viele Leute tagein, tagaus um die Börsenticker drängten, die jeden Club und jedes Hotel, viele Restaurants und sogar einige Bars und Frisörläden zierten. Magnus staunte, wie diese albernen kleinen Uhrwerke hinter ihren Glasscheiben auf manche Menschen eine solche Faszination ausüben konnten. Die Leute saßen stundenlang davor und sahen zu, wie der Apparat eine lange Papierzunge ausspuckte, die über und über mit Zeichen bedruckt war. Es gab immer jemanden, der das Papier sogar auffing, während es sich langsam entfaltete, und sich in diese Zauberformeln vertiefte.
    Der erste Schreck kam am vierundzwanzigsten Oktober, als der Markt für einen Moment ins Taumeln geriet, bevor er sich mühsam wieder fing. Das folgende Wochenende verbrachten alle in großer Sorge; und mit Beginn der neuen Woche wurde alles nur noch schlimmer. Dann kam Dienstag, der neunundzwanzigste, und alles brach zusammen, ganz genau, wie es anscheinend jeder vorhergesehen und doch niemand wirklich geglaubt hatte. Magnus konnte der Druckwelle nicht einmal in der Stille seines Hotelzimmers im Plaza

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