Der Auftrag des Aeltesten
Kristall von Eoam. Ungezähmte Magie wie diese ist tückisch, unberechenbar und oft viel mächtiger als diejenige, welche wir wirken können.
Vor Äonen von Jahren war alle Magie ungezähmt. Um sie nutzen zu können, bedurfte es nur der Fähigkeit, die jeder Zauberkundige besitzen muss, nämlich sie mit dem Geist wahrzunehmen und den Wunsch und die Kraft zu besitzen, sie zu gebrauchen. Ohne die Strukturen der alten Sprache konnten die Magier ihre Fähigkeiten allerdings nicht kontrollieren und brachten deshalb großes Unheil über das Land und töteten unzählige Lebewesen. Mit der Zeit begriffen sie, dass sie ihre Absichten leichter und vor allem zielgerichtet umsetzen konnten, wenn sie den Zauber in ihrer Sprache äußerten und nicht nur in Gedanken. Damit gelang es ihnen, verheerende Irrtümer zu vermeiden. Und trotzdem war die Methode nicht narrensicher. Irgendwann kam es zu einem furchtbaren Unglück, das beinahe alles Leben auf der Welt ausgelöscht hätte. Wir wissen von diesem Ereignis nur aus den wenigen Manuskripten, die aus dieser Ära überliefert wurden. Wer diesen tödlichen Zauber gewirkt hat, ist uns nicht bekannt. In den Manuskripten heißt es bloß, dass nach der Katastrophe das so genannte graue Volk - nicht wir Elfen, denn damals waren wir eine noch sehr junge Rasse - seine Kräfte gebündelt hat und einen gewaltigen Zauber wob, vielleicht den größten, den es je gab, und mit vereinten Kräften das Wesen der Magie veränderte. Sie formten sie so um, dass ihre Sprache, die alte Sprache, die Wirkung der Magie kontrollierte, ja sogar eingrenzte. Deshalb kannst du sagen ›Tür, verbrenne!‹ und mich dabei zufällig ansehen oder an mich denken. Dein Zauber würde trotzdem die Tür verbrennen und nicht mich. Darüber hinaus verlieh das graue Volk der alten Sprache ihre beiden bis heute einzigartigen Eigenschaften, nämlich dass man in ihr nicht lügen kann und dass man mit ihr die wahre Natur der Dinge beschreibt. Wie ihnen das gelang, bleibt ihr Geheimnis.
Die Manuskripte widersprechen sich jedoch darin, was aus dem grauen Volk wurde, nachdem es sein Werk vollendet hatte. Anscheinend hat diese Anstrengung ihnen alle Lebenskraft geraubt und sie zu einem Schatten ihrer selbst gemacht. Sie sind verblasst und zogen sich in ihre Städte zurück, wo sie lebten, bis die Steine zu Staub zerfielen. Oder aber sie haben sich mit anderen Völkern vermischt und sind so allmählich in Vergessenheit geraten.«
»Dann ist es also möglich«, erkundigte sich Eragon, »die Magie ohne Worte, nur mit Gedanken heraufzubeschwören?«
»Wie, glaubst du, speit Saphira Feuer? Deinen eigenen Angaben zufolge hat sie nichts gesagt, als sie Broms Grabmal in einen Diamantenhügel verwandelte und als sie in Farthen Dûr das Kind mit dem Drachenmal versehen hat. Der Geist der Drachen unterscheidet sich von unserem; sie bedürfen keines Schutzes vor der Magie. Sie können sie zwar nicht bewusst gebrauchen, außer wenn sie Feuer speien, aber wenn die Gabe sie berührt, sind ihre Kräfte unvergleichlich. - Du siehst besorgt aus, Eragon. Warum?«
Eragon starrte hinunter auf seine Hände. »Was bedeutet das für mich, Meister?«
»Es bedeutet, dass du weiterhin die alte Sprache studieren wirst, denn du kannst mit ihr vieles bewirken, was auf die herkömmliche Art zu anstrengend oder zu gefährlich wäre. Es bedeutet aber auch, dass du, wenn du gefesselt und geknebelt bist, die Magie mit deinen Gedanken heraufbeschwören kannst, so wie Vanir es getan hat. Und wenn du einen Zauber wirken möchtest, für den es in der alten Sprache keine Worte gibt, tust du es eben auch mit deinen Gedanken.« Er hielt inne. »Aber hüte dich vor der Versuchung, diese Macht leichtfertig zu gebrauchen. Selbst die Weisesten unter uns setzen diese Fähigkeit nur selten ein, denn sie fürchten, dass sie dabei der Tod oder Schlimmeres ereilen könnte.«
An den darauf folgenden Tagen seines Aufenthalts in Ellesméra verlor Eragon bei den Schwertkämpfen mit Vanir nicht mehr die Beherrschung, egal was der arrogante Elf sagte oder tat.
Allerdings investierte Eragon auch nicht mehr so viel Kraft in die Kämpfe. Die Schmerzen in seinem Rücken überfielen ihn immer häufiger und trieben ihn an die Grenze seiner Belastbarkeit. Er wurde empfindlich; Bewegungsabläufe, die ihm bisher keine Probleme bereitet hatten, zwangen ihn jetzt zu Boden. Selbst beim Tanz von Schlange und Kranich bekam er neuerdings Anfälle, manchmal drei oder vier am Tag.
Eragons Gesicht
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