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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Manchmal sterben Menschen zu früh. Betrauere sie im Stillen. Trag dein Leiden nicht zur Schau wie die Araber. Und wenn du sie lange genug betrauert hast, siehst du zu, daß du wieder auf die Beine kommst, und lebst dein Leben weiter.
    Dieser letzte Teil - sein Leben weiterleben - hatte Gabriel die größten Schwierigkeiten bereitet. Er gab sich die Schuld an dem Bombenanschlag in Wien, nicht nur wegen seiner Affäre mit Jacqueline, sondern auch wegen der Art und Weise, wie er Tariqs Bruder erschossen hatte. Er hatte sich die Befriedigung verschaffen wollen, daß Mahmoud seinen Tod bewußt erlebte - daß er in dem Augenblick, in dem Gabriels Beretta fast lautlos die erste glühendheiße Kugel in sein Gehirn jagte, Todesqualen erlitt. Schamron hatte ihn aufgefordert, die Terroristen zu terrorisieren - wie sie zu denken, wie sie zu handeln. Gabriel glaubte, er sei bestraft worden, weil er wie sein Feind geworden war.
    Dafür hatte er sich selbst bestraft. Er hatte nacheinander die Türen zugeschlagen und die Fenster vergittert, die ihm einst Zugang zu den Freuden des Lebens verschafft hatten. Er trieb durch Zeit und Raum und stellte sich vor, daß die Seelen der Verdammten die Orte besuchen durften, an denen sie einst gelebt hatten: fähig, die geliebten Menschen und einstigen Besitztümer zu sehen, aber außerstande, mit jemandem zu sprechen, etwas zu schmecken, zu berühren oder zu fühlen. Schönheit erlebte er nur in der Kunst - und nur, wenn er Schäden reparierte, die achtlose Besitzer oder der Lauf der Jahre verursacht hatten. Schamron hatte ihn zu einem Zerstörer gemacht. Gabriel hatte sich in einen Heiler zurückverwandelt. Nur war er leider außerstande, sich selbst zu heilen.
    Weshalb sollte er seine Geheimnisse also Jacqueline anvertrauen? Weshalb sollte er ihre verdammten Fragen beantworten? Die Antwort war ganz einfach: Weil er das Bedürfnis danach hatte. Das hatte er in dem Augenblick gespürt, in dem er ihr Landhaus in Valbonne betreten hatte - dieses prosaische Bedürfnis, seine Geheimnisse mit ihr zu teilen und ihr vergangene Schmerzen und Enttäuschungen zu offenbaren. Noch wichtiger war jedoch, daß er sich ihr gegenüber nicht rechtfertigen mußte. Er dachte an seine alberne Phantasie von einer Affäre mit Peels Mutter, die jäh zu Ende gegangen war, als er ihr die Wahrheit über sich erzählt hatte. Dieses Szenario spiegelte eine von Gabriels tiefsitzenden Ängsten wider:
    Er fürchtete sich davor, einer Frau erzählen zu müssen, daß er ein Berufskiller war. Jacqueline kannte seine Geheimnisse bereits.
    Vielleicht hatte Jacqueline in einem anderen Punkt recht gehabt, dachte er - vielleicht hätte er Schamron um ein anderes Mädchen bitten sollen. Jacqueline war seine Bat leweja, und morgen würde er sie ins Bett eines anderen Mannes schicken.
    Gabriel parkte in der Nähe seiner Wohnung in einer Seitenstraße und ging rasch um die Ecke zum Eingang des Wohnblocks. Er sah zu seinem Fenster auf und murmelte: »Guten Abend, Mr. Karp.«
    Und er stellte sich Karp vor, der ihn durchs Visier seines Parabolmikrofons verfolgte und dabei sagte: »Willkommen daheim, Gabe. Lange nichts mehr von dir gehört.«

2 2 Maida Vale, Londo n
    Jacqueline empfand ein eigenartiges Hochgefühl, als sie am nächsten Morgen auf der Elgin Avenue zur U-Bahnstation Maida Vale ging. Bisher hatte sie ein Leben voller hedonistischer Exzesse geführt - zuviel Geld, zu viele Männer, Luxus als Selbstverständlichkeit. Es war beruhigend, etwas so Alltägliches zu tun, wie mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren, auch wenn dieser Job ihr nur als Tarnung diente.
    Nachdem sie am Zeitungskiosk die Times gekauft hatte, betrat sie die Station und ging die Treppe zu den Fahrkartenautomaten hinunter. Am Abend zuvor hatte sie den Stadtplan studiert und sich die U-Bahnlinien eingeprägt. Sie hatten so merkwürdige Namen: Jubilee, Circle, District, Victoria. Um zur Galerie in St. James's zu kommen, mußte sie von Maida Vale mit der Bakerloo Line zum Piccadilly Circus fahren. Sie löste ihre Fahrkarte am Automaten, ging durchs Drehkreuz und fuhr mit der Rolltreppe zum Bahnsteig hinunter. So weit, so gut, sagte sie sich. Nur eine von unzähligen Londonerinnen, die zur Arbeit fuhren.
    Ihre Vorstellung, sich ein paar Minuten bei Zeitungslektüre entspannen zu können, löste sich in Luft auf, als die U-Bahn einfuhr. Die Wagen waren hoffnungslos überfüllt, die Fahrgäste standen an die Scheiben gequetscht. Jacqueline, die stets darauf achtete,

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