Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
blaßgrünen Dien‐
    lichkeit, diese Nichteinengung in Persönliches, diese Nicht-behauptung, dieses Nichtsbeweisenwollen! Dieses dich ganz
    und gar gelten lassende Zimmer ist der Aufbruch. Und war
    so aufgeregt, daß er nicht im Zimmer bleiben konnte. In dreieinhalb Stunden würde er drüben im Flughafen vor Gate
    68 stehen, bis sie auftauchte.
    Im Aufzug wieder ein paar von diesen Fez‐Trägern, durch
    die er sich schon bei der Ankunft den Weg zum Empfang
    gebahnt hatte. Was daheim eine Fasnachtsgesellschaft gewe‐
    sen wäre, war hier, laut Informationstafel, ein altägyptischer
    Orden und hieß SCIOTS. Roter Fez, schwarzer Fez, glit‐
    zernde Kinkerlitzchen, alles ältere Männer beziehungsweise
    Herren, sie staksten mehr als sie gingen. Aber jeder stakste anders als der andere. Keine zwei litten unter der selben Beeinträchtigung. Das fand Gottlieb interessant. Im Aufzug sagte ein solcher Fez‐Träger zu den anderen Fez‐Trägern:
    This is the best chance we ever had to paint these bastards into a corner. Gottlieb war gierig darauf, möglichst viel von
    Amerika mitzukriegen. Wovon redeten die? Er vermutete,
    von Feinden der USA, die man nicht länger schonen durfte.

    135
    Er fühlte sich angeschaut von einem mexikanisch ausse‐
    henden Buben, vier oder fünf Jahre alt. Der hatte eine fast zu
    große Puppe im Arm, die Gottlieb vom Fernsehen her zu
    kennen glaubte. Gottlieb mußte das Puppenmonster an‐
    schauen statt den Buben. Er hatte den Eindruck, das Puppen‐
    monster habe den Vierjährigen im Arm.
    Als er in der Halle einen Sessel suchte, der ein wenig Abstand erlaubte, blieb eine Dame, die einen Fez‐Träger
    führte, seinetwegen kurz stehen und rief: I am ninety‐two and I love you. Wahrscheinlich hatte er ihr leid getan, weil er
    weder den roten noch den schwarzen Fez trug und auch
    sonst mit keinerlei Kinkerlitzchen ausgezeichnet war. Einige
    Fez‐Träger hingen in Sesseln, streckten die Beine von sich und schliefen mit klaffenden Mündern. Gottlieb fühlte sich mit allen, die er sah und hörte, solidarisch. Im Stim-mengeräusch gaben Frauenstimmen den Ton an. Er fand
    einen Sessel, der mehr als einen Meter von der nächsten Sitzgelegenheit weg war. Er streckte die Beine auch von sich.
    Er spürte sich. Wahrscheinlich würde, bevor Beate landen
    konnte, San Francisco in einem Erdbeben untergehen. Wie
    1905. Er spürte, wie sich in der unteren Mitte Wärme
    sammelte. Sie floß förmlich zusammen. Die Muskulatur
    schwoll. Sein Geschlechtsteil wollte auf sich aufmerksam
    machen. Außer ihm sollte nichts mehr spürbar sein. Der
    angenehme Schmerz des übersteifen Teils. Endlich wieder
    einmal. Ihm war nach Fortpflanzung. Anfallartig. Drastisch buchstabierte sich in ihm die durch nichts gehemmte
    Fortpflanzungssucht. Die Wörter droschen auf ihn ein. Beate,
    kleiderlos und fortpflanzungssüchtig wie er. Das, von beiden
    empfunden, als Steigerung dessen, was zwischen ihnen, mit

    136
    ihnen stattfinden konnte. Schluß mit dem grotesken Ver‐
    hinderungs‐ und Verhütungszirkus. Scheiden schlämmen. In
    das schwarzrote Dunkel ihrer Scheidenschlucht den tag‐
    hellen milchigen Samen träufen, bis von allen Rändern und Wänden nur noch die lichten Samenschwaden flössen, die
    Schlucht überschwemmten und schlämmten. Nicht Koitieren
    macht traurig, sondern der Betrug, das Sichnichtfort‐
    pflanzendürfen.
    Gottlieb konnte sich wieder loslassen. Der Anfall war zu Ende. Er stakste zur Bar. Bourbon on the rocks. Drei nachein-ander. Sollte er Kaltblütigkeit imitieren, hinauf ins Zimmer, den Samen verschleudern, daß dann der Ernstfall keiner
    Übereilung zum Opfer fiele?
    Vor zehn Jahren, ja. Aber jetzt? Sechzig vorbei! Aber einen
    alkoholischen Dämpfer schon. Keine Details mehr. Wir sind
    ein Orchester, das keines Dirigenten bedarf. Und warum
    nicht alles auf Englisch stattfinden lassen? Sie gleich so begrüßen. Und holte sich sofort einen Stoß Zeitungen und jagte nach starken Wörtern. New wavers in skinny tights and fluorescent high heels. Lipstick lesbians in biker chic. Crowds of backstage sycophants with their perpetual condescending sneers. A white button‐down collar oxford cloth shirt open at the neck. The possible validity of TA (transactional analysis). Card‐carrying highbrows. Viciously homophobic stereotypes. Dogeared quotations from the gurus of yesteryear. Zu spät. Diese Verbalarena schaffst du nicht mehr. Allenfalls ein paar flabby clich é s. Self consciously hip.
    Dann las

Weitere Kostenlose Bücher