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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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so weit sein werde, daß er, der Jubellaut, wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich sogar, für
    immer und ewig im dunkelsten Innersten zu bleiben und

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    dort gespensterhaft zu verkümmern habe. Und jetzt durfte er
    heraus, der Jubellaut. Der Laut entrang sich ihr. Er hatte Mühe, herauszugelangen. Es war die Geburt eines Lauts. Sie,
    die Befreierin. Und das würde Gottlieb W. Zürn in Berkeley
    öffentlich kundtun! Er würde nach Amerika gekommen sein,
    weil er sich, wie Montaigne‐La Mettrie es empfehlen, zum Thema gemacht und damit der Aufgabe, über La Mettrie zu
    sprechen, beispielhaft entsprochen hat.
    Und sie fing an, den Schicksalstext zu übersetzen. Das
    Befreiungsevangelium, die Frohe Botschaft. Sie hatte noch
    nie einen Text übersetzt, den man, wenn man ihn las, vollkommen versteht, aber nachher, wenn man ihn übersetzen
    will, sträubt er sich. Deutsch teilt er sich einfach mit. Aber wenn man diese Einfachheit ins Englische überträgt, ist sie nicht mehr da.
    Den Verfasser anrufen. Egal, wer da an den Apparat kam.
    Und prompt kam sie. Mein Mann ist im Augenblick nicht zu
    sprechen. Die wußte Bescheid. Die würde ihrem Mann nicht einmal mitteilen, daß er aus Amerika angerufen worden war.
    Es geht um den Vortragstext, hatte sie noch, zunehmend
    hilflos, in den Hörer gerufen. Aufgelegt. Das Transatlantik-rauschen. Mein Mann. Das besitzanzeigende Fürwort. Aber Beate konnte nicht aufgeben. Sie rechnete. Wenn die Frau in
    Pfullendorf und sonst wo war, mußte er an den Apparat
    kommen. Der Gefangene. Und er kam an den Apparat. Sie
    jubelte. Ihm zu. Dem Text zu. Gestand aber unterwürfig, daß
    sie das nicht ohne ihn ins Englische zu bringen wage. Sie macht eine Rohfassung. Dieses Wort endlich in einer sie
    begeisternden Verwendung. Er kommt, dann schmiegen sie
    gemeinsam den Text ins Englische. Das heißt aber, daß er 129
    nicht vierundzwanzig Stunden vor der Tagung eintrifft,
    sondern vier, fünf, am besten sechs oder sieben Tage. Am Montag, dem 19. März. Sie wird freinehmen. Das wird nicht
    leicht sein. Sie kann das nur fordern, weil die Übersetzung das fordert. Er klang sowohl glücklich wie bedenklich. Am liebsten käme er vierzehn Tage vorher, aber er wisse schon jetzt, daß mehr als vier Tage vorher nicht drin seien. In was
    drin, dachte sie und sagte: Wenn du meinst. Er so kleinlaut wie noch nie: Ich nicht, aber ... Und ließ den Satz routiniert hängen. Sie sagte: Ich verstehe. Und er: Danke. Sie legte auf.
    Warum wurde es ihr jetzt nicht schlecht! Warum kotzte sie jetzt nicht! Weil sie es nachher selber wieder aufputzen müßte. Nein, nein. Einer Frau in historischer Funktion und Mission wird es nicht mehr schlecht. Sie wird gebraucht. Sie
    ist die Befreierin. Und das ist weder Anmaßung noch
    Einbildung. Rise to the Occasion.
    Wie immer Anfang März, die floridasüchtigen Eltern. Die
    Wellensittiche als Vorwand, in North Carolina Station zu
    machen und der Tochter zu Taten zu raten, zu Eltern‐
    entlastungstaten. Keine Antique Malls diesmal. Die Mutter
    machte einen gesättigten Eindruck. Sie hatte gerade per eBay
    ein zwölfteiliges Meißen‐Service, produziert 1935, für ganze sechzehnhundert Dollar erschachert und in abenteuerlicher
    Fahrt droben in New Hampshire selber abgeholt. Der Vater fragte wie immer, ob ein Heiratskandidat in Arbeit sei, und fragte wieder so, daß er seine Art zu fragen für taktvoll halten konnte. Sie klagte nicht − und über nichts. Schon lange
    nicht mehr. Sie hatte einmal, beiläufig, eine Verstimmtheit mit these days of the month begründet, darauf der Vater: Was sie beklage, habe sie sich selbst zuzuschreiben, solange

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    sie sich ihrer weiblichen Bestimmung verweigere. Seitdem
    vermied sie in seiner Gegenwart jede Art Klage. Er dagegen
    klagte auch diesmal und wie immer: Noch nie sei es so
    schwer gewesen wie jetzt, deutsche Autos in New York zu verkaufen. Und dann auch noch von Mercedes. Die
    oberschlauen Bayern hätten in New York einmal einen
    installiert, der sei beim Jungvolk gewesen, Bʹnai Brith habe das als harmlos bezeichnet, da der hier schon zweimal
    verheiratet gewesen sei, zweimal mit einer Jüdin, zweimal nach jüdischem Ritus. Und schaute dabei seine Frau fast
    vorwurfsvoll an. Also sagte sie: Dann hau doch ab. Er nickte
    ganz langsam und sagte, er wolle doch nur sagen, daß es nicht leicht sei. Und sie vollendete: Deutsche Autos zu
    verkaufen, ja, ja. Und er, weil sie das ausgelassen hatte: In New York. Da mußte die Tochter dann

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