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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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der Referent diese Selbstüberprüfung versäumt hat, war ein furchtbarer Fehler.
    Den bedauert er sehr. Er hätte bedenken müssen, daß er im
    Ausland spricht. In den USA! Er bittet die Versammlung um
    Entschuldigung. Und er hofft, er habe gelernt, spät genug ge‐
    lernt, aber doch noch gelernt, er als Deutscher, vor allem im
    Ausland, hat immer daran zu denken, daß er zuerst ein
    Deutscher ist und erst dann, falls sein Ein‐Deutscher‐sein das
    noch zuläßt, erst dann ein Mensch.
    Eher zaghafter, aber aus ein paar hinteren Reihen dann
    doch deutlicher Beifall. Gottlieb schaute nicht hin. Er bedankte sich, immer noch flüsternd, bei seiner Übersetzerin.
    Das ergab einen allgemeinen, sogar heftigen Beifall. Beate verneigte sich. Rick Hardy, der während Gottliebs Erwi-derung deutlich geduldig auf dem Podium stehen geblieben
    war, übernahm die Leitung der jetzt einsetzenden Diskus‐

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    sion. Gottlieb setzte sich auf seinen Platz, Beate auf ihren.
    Gottlieb konnte nicht mehr folgen. Er kriegte mit, daß hinten
    ein paar Frauenstimmen für ihn sprachen und daß die
    Mehrheit dann diese Sympathisantinnen eines Besseren zu
    belehren suchte: moralisch, politisch, philosophisch. Es ging
    um die Wörter. Guilt, debt, self‐reproach, bad conscience, hypocrisy. Gottlieb war nicht mehr gefragt, das kriegte er mit. Denen, die ihn verteidigen wollten, konnte er nicht helfen. Beate beteiligte sich auch nicht. Seine Verteidi-erinnen, das hörte er, ohne sich umzudrehen, mußten ältere
    Damen sein; eine wies darauf hin, daß sie aus einer Familie
    von Holocaustüberlebenden stamme. Es wurde ihr gesagt, es
    sei ihre Sache, ganz und gar ihre Privatsache, wenn sie sich mit einem deutschen Entlastungsmanöver dieser Art
    befreunden könne, kein Mensch könne ihr daraus einen
    Vorwurf machen, solange sie nicht versuche, ihrer Privat‐
    sache universale Gültigkeit zu erstreiten. Rick Hardy hatte so
    gut wie nichts mehr zu tun, so gut lief die Diskussion. Dann
    und wann mußte er sagen: Keep your remarks brief, und
    schließlich: Die Kaffeepause sei ein MUST, also noch eine letzte Wortmeldung. Die kam von Patricia Best. Sie stand auf, sprach ebenso zu Gottlieb wie zum Saal. Die kleine, eher
    rundliche Person wuchs mit jedem Wort. Sie wuchs wirklich.
    Sie sprach nicht einmal besonders laut. Mußte sie auch nicht.
    Ihre hohe, eigentlich sehr hohe Stimme schwebte über dem ganzen Saal. Das sah man. Gottlieb hatte tatsächlich den Eindruck, als wüchsen auch die Zuhörer. Alle Hälse wurden
    lang, alle Köpfe hoben sich. I liked your speech. So begann sie. Dann sagte sie, daß auch heute noch das Gewissen eines
    jeden Menschen von der Religion gebildet werde, in der er 167
    aufwachse. Das Gewissen sei das Kostbarste, was unsere
    Kindheit in jedem von uns lebendig erhalte. Und, bitte, der Atheismus sei ja nichts anderes als eine Religion, die sich zutraue, ohne Gott auszukommen. Tatsächlich sei jede
    praktizierte, gar herrschende Religion in Gefahr, das
    kostbare Kindheitsgut Gewissen zur Rezeptur verkommen
    zu lassen. Daß die Philosophie darauf kritisch zu reagieren habe, verstehe sich inzwischen von selbst. La Mettrie habe das getan. Einzigartig. Großartig. Nachträglich seiner
    Gewissenskritik Reservate anzuweisen, in denen allein sie
    angewendet werden dürfe, komme ihr vor wie freiwillige
    Kurzsichtigkeit, die gebe es aber in der Natur nicht, und die
    Wissenschaft sollte nicht versuchen, gerade darin die Natur zu korrigieren. Dann wolle sie, müsse und könne sie dem Herrn Referenten versichern, daß das Problem der
    Transzendenz vom Deutschen zum Menschen ganz und gar
    nicht nur sein Problem ist. Solange es noch Nationen gibt, und es wird sie ganz sicher nicht ewig geben, muß es und wird es diese Einladung zur Überwindung des nur Angebo-renen geben. Die herzliche Theatralik mit der der Referent den Emanzipationskitzel vor uns ausgelebt hat, hat mich
    gerührt.
    Aus verschiedenen Saalquartieren heftiger Beifall. Aber da
    und dort gab es auch Zischen.
    Rick Hardy übernahm: Er sei immer wieder glücklich,
    wenn er Patricia Best in ihrer sibyllinischen Laune erlebe.
    Und lachte. Vielen Dank, Patricia!
    Jetzt Professor Rosenne. Er sei auch glücklich über diesen Anfang der Tagung. Daß La Mettrie immer noch ein Unruhe-stifter sei, mache ihn glücklich. Gestern Abend habe er

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    drüben in San Francisco in Chinatown Abend gegessen. Die
    Chinesen lieferten ja zu jedem Dinner ein Cookie, ein fortune
    Cookie, das man,

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