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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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er immer kühnere Zugriffe probierte, auch solche, die Anna  brüskierten,  beleidigten,  blamierten  und  sie  sogar  aus  dem  Gerichtssaal  jagten,  es  gelang  ihm  nichts.  Er  rannte  Anna  nach,  redete  sich  im  Hinausrennen  ein,  daß  er  das  Anwaltsmädchen  überschätze.  Aber  wo  war  Anna?  Ihn  schüttelte eine furchtbare Angst. Er wachte auf. Und sah das  Anwaltsmädchen  vor  sich.  Als  wäre  sie  da.  Sie  war  aber  nicht  da.  Aber  er  sah  doch  ihre  lockere  Oberlippe,  die  gekräuselten  Haare  bis  zur  Ohrmitte,  dann  den  langen  nackten  Hals.  Wie  sollte  er  da  weiterleben?  Was  für  eine  Fehlentwicklung  ist  der  Mensch.  Er  würde  das  Leben  boykottieren.  Diesen  Schmerz,  nein  danke,  das  läßt  er  sich  nicht  gefallen.  Gäbe  es  ein  Jenseits,  könnte  er  sich  um bringen. In der Hoffnung, das Anwaltsmädchen erwarte ihn  dort.  Aber  es  gibt  nichts.  Dort  nichts.  Hier  nichts.  Nirgends  nichts. Er hatte Anna den ganzen Tag lang nicht sagen, nicht  verzeihen  können,  woran  sie  ihn  in  dieser  Nacht  gehindert  hatte. Und dann diese Besucherin. Mit der Sonnenblume. In  deren  gelbumflammte  dunkle  Unergründlichkeit  konnte  er  jetzt starren. 
 
 
 
 
 
    2.  
 
 
 
Anna  kam,  er  saß  immer  noch  auf  der  Terrasse.  Guten  Abend,  sagte  sie  und  ließ  ihre  Lippenpartie  ein  bißchen  entgleisen. Herr Zürn oder Herr Krall, wie hätten Sie¹s gern?  Gottlieb sagte: Unglaublich. 
    Und  Anna: Vor allem die Sonnenblume. 
Gottlieb nickte so sachlich wie möglich. Anna legte auf den  Tisch, was sie geleistet hat, den Pfullendorfer Abschluß, die  Hälfte der Provision, per Scheck,  EURO  6000. Gottlieb stand  auf. Er würde das sofort buchhalterisch erledigen. Gratuliere,  sagte er. Ich dir, sagte sie. Ja, sei doch tief rührend, kommt so  eine  jungschöngescheite  Philosophin  aus  Amerika,  um  Wendelin  Krall  anzuschauen.  Wie  ich  sehe,  habt  ihr  das  gebührend  gefeiert.  Zeigte  auf  die  halbleere  Calvados Flasche.  Und  daß  er  mitgetrunken  habe,  zeige  doch,  wie  nahe ihm dieser Besuch gegangen sei. 
Gottlieb  konnte  jetzt  nicht  sagen,  daß  er  erst  getrunken  habe, als die Besucherin wieder weg gewesen sei. Das war ja  noch viel schlimmer, als mit ihr zusammen zu trinken. Jetzt  nimm¹s nicht so schwer, sagte Anna, vierzig Jahre, das kann  man  doch  auf  sich  beruhen  lassen.  Gottlieb  dachte:  Woher  weiß  sie  das,  vierzig  Jahre,  es  können  genau  so  gut  zweiunddreißig  Jahre  sein  oder  sechsunddreißig.  Typisch  Anna. Alles so negativ wie möglich. Immer schon. Immer ist  alles  zu  Ende.  Sie  zieht  dich  hinab.  Nicht  absichtlich.  Unwillkürlich.  Ihre  Spezialität,  in  allem  das  Ende  heraus zuspüren.  Besonders  an  lichtlosen  Tagen.  Sie  war  immer  lichtabhängig. Das Licht regelte alles bei ihr. Wenn sie Ende  Juni  spazieren  gingen  und  alles  noch  blühte  und  grünstens  prangte,  konnte  sie  sagen:  Der  erste  Herbsttag  heute.  Und  das lag am Licht. Wenn er, durch sie aufmerksam geworden,  dieses  Licht  mit  seinen  Sinnen  prüfte,  mußte  er  ihr  recht  geben,  durch  irgendwelche  Druck  und  Feuchtigkeitsum stände war trotz aller Grünherrschaft ein Hauch kühles Gold  in  der  Luft,  ein  Herbstschimmer,  unverkennbar.  Er,  vom  oberflächlich  herrschenden  Grün  eingenommen,  hätte  das  nicht bemerkt. 
Er  ging  an  ihr  vorbei,  zeigte,  daß  er  die  Papiere  versorge,  den Scheck werde er morgen gutschreiben lassen. Bloß kein  Gespräch jetzt. Er mußte ihr jetzt bestätigen, daß auch er der  Ansicht  sei,  eine  vierzig  Jahre  jüngere,  das  könne  man  auf  sich  beruhen  lassen.  Auf  sich  beruhen,  oh  Anna!  Ist  ja  gut.  Solange er nichts sagen muß, erträgt er alles. Wenn er ihr nur  nicht  ins  Gesicht  sagen  muß:  Stimmt,  vierzig  Jahre,  da  erlischt  jedes  Problem!  Sie  sagte, 

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