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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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nicht  passierte,  in  jeder  Sekunde  aufsage,  vor  ihr  aufsage. Für sich sein. Für sich sein dürfen. Deine Stimmung  empfinden dürfen, wie du sie jetzt, gerade jetzt, empfindest.  Sie  nicht  übersetzen  müssen  ins  Erträgliche,  gar  für  den  anderen  Erträgliche.  Eine  Drecksstimmung  eine  Drecks stimmung  sein  lassen.  Sagen  dürfen,  nein,  denken  dürfen:  Du gehst mit deinem Pech ins Bett und du knurrst nicht. Du  gehst  mit  deinem  Pech  ins  Bett  und  du  knurrst  nicht.  Aber  du  mußt  es  denken  dürfen.  Die  ganze  Nacht  mußt  du  denken  dürfen:  Du  gehst  mit  deinem  Pech  ins  Bett  und  du  knurrst nicht. Wenn du das nicht denken darfst, knurrst du. 
Als  Anna  sich  im  Schrankzimmer  auszog  und  dann,  ohne  das Licht anzumachen, ins Schlafzimmer kam, spielte er den  Schlafenden.  Wahrscheinlich  würde  sie  ihm  morgen  sagen,  sie habe natürlich gemerkt, daß er nicht geschlafen habe. Oft  genug  wurde  heiter  darüber  gestritten,  wer  zuerst  wirklich  eingeschlafen  sei  und  wer  nur  so  getan  habe,  als  sei  er  eingeschlafen, um dadurch dem anderen das Einschlafen zu  erleichtern.  Aber  nach  dieser  Nacht  würde  keiner  dem  anderen  nachweisen  können,  der  habe  durch  solche  und  solche Atemzüge oder Laute eindeutig verraten, daß er ein geschlafen  sei,  während  man  selber  noch  hellwach  gelegen  habe.  Anna  sorgte  für  etwas  Neues.  Sie  schlug  ihre  Decke  zurück,  schrie  schrill  Naiiinnn,  Gottlieb  fuhr  hoch,  konnte  vorerst nicht mehr atmen, so schnürte ihn der Schrecken. Sie  zeigte in ihr Bett. Da lag ein Messer. Ein Küchenmesser. Das  große  Fleischmesser.  Lang  und  spitz  und  gebogen  und  scharf. Ach ja, sagte sie, ich soll mich also ins Messer legen. 
Irgendeinmal  früher  hätte  er  jetzt  beteuert,  das  Messer  nicht  in  ihr  Bett  gelegt  zu  haben.  Er  hielt  es  für  einen  Fort schritt, daß er nur sagte: Ach, Anna, und sich wegdrehte. Das  mußte  sie  mit  sich  selber  klären.  Zu  ihrer  Art  ausdrucks sicherer  Geistesabwesenheit  würde  es  passen,  daß  sie  das  Messer  in  ihr  Bett  gelegt  hatte.  Höhere  Geistesabwesenheit  müßte man das nennen. Was sie in solchen Augenblicken tat,  hatte  immer  Bedeutung.  Zu  schwören,  es  nicht  getan  zu  haben, würde ihre Behauptungsenergie nur steigern. Sie sich  selbst  überlassen,  das  war  zwar  grausam,  und  sie  tat  ihm  leid,  aber  er  kam  sich  erschöpft  vor.  Er  wußte,  wie  sie  einander  in  ein  Satzgetöse  hineingesteigert  hätten,  in  dem  beide  gleichermaßen  verwundet  geendet  hätten.  Das  war  einmal. Schön, daß sie diese Routine hinter sich hatten. Daß  Anna  nur  noch  halblaute,  auf  Unverständlichkeit  angelegte  Sätze  murrte,  zeigte  ihm,  daß  sie,  auch  wenn  sie  es  fertigbrachte  zu  glauben,  er  habe  ihr  das  Messer  ins  Bett  gelegt, auf den Sprechstreit verzichten konnte. 
Ihn stimmte, was sie getan hatte, zärtlich. Obwohl sie doch  so  gut  wie  nichts  mitgekriegt  haben  konnte,  hatte  sie  voll kommen  genau  reagiert.  Sich  das  größtmögliche  Messer  ins  Bett  legen.  Genauer  konnte  man,  was  heute  passiert  war,  nicht  ausdrücken.  Auch  die  Sinnlosigkeit,  Folgenlosigkeit  und  Unwirklichkeit  des  heute  Passierten  konnte  man  nicht  genauer ausdrücken als durch ein möglichst großes Messer,  das zwar in ihrem Bett liegt, aber überhaupt keinen Schaden  anrichten kann. 
Am  nächsten  Morgen  suchte  Gottlieb  zuerst  im  Tele phonbuch,  ob  in  Langenargen  Gutbrod  vorkomme.  Nein.  Dann ging er ans Klavier und schlug die Töne beade an.  Dann,  an  seinem  Schreibtisch,  versuchte  er  ihre  Schuhe  zu  zeichnen.  Zum  ersten  Mal  begriff  er,  warum  es  Schuhfe tischisten gibt. Diese Schuhe zu zeichnen gelang nicht. Viel leicht  weil  in  jedem  Augenblick  Anna  hereinkommen 

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