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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Das  war  die  erste  Rezeption  in  Deutschland.  Wenn  auch,  weil  dem  Großen Friedrich das französische Sprachcostume lieber war,  auf Französisch. 
Anna  sagt  Vierzig  Jahre,  und  er  rennt  los  und  kämpft  gegen die Windmühle namens Vierzig. Und wenn es dreißig,  zwanzig  oder  zehn  Jahre  wären −  was  würde  das  an  der  Entfernung  zu  der  Besucherin  ändern?  Nichts.  Sie  kann  verlobtverheiratetverliebt und sonst was sein. Vielleicht läßt  sich  ihretwegen  der  Professor  gerade  scheiden.  Sie  tele phoniert,  solange  sie  unterwegs  ist,  jede  Nacht  eine  Stunde  mit  ihm.  Und  ihn  hetzt  Anna  mit  einer  Zahl  auf  die  Unmöglichkeitsstrecke, nicht ahnend, daß Gottlieb sich diese  Sorte  von  Unmöglichkeit  nicht  gefallen  läßt.  Man  kennt  einander, wenn es darauf ankommt, nicht. Etwas Aussichts loses  dieser  Art,  das  kann  er  sich  nicht  gefallen  lassen,  da  geht er die lange, lange Uferstraße hinaus nach Westen und  wieder zurück, bis er jedes Haus auf der Landseite zweimal  angeschaut  hat.  Der  Altimmobilienhändler  prüft  und  prüft.  Fast  glücklich.  Er  folgt  einer  Notwendigkeit,  er  will  jetzt  nichts  als  Langenargener  Häuser  auf  der  Landseite  der  Uferstraße  anschauen.  Jedes  Haus  kann  es  sein.  Aus  jedem  Haus kann sie schauen. Auf jedem Balkon sitzen. Also mehr  muß  doch  nicht  sein  als  eine  solche  Betäubung  der  Aus sichtslosigkeit.  Dieses  Erlebnis  der  reinen  Notwendigkeit:  Geh  und  schau  und  schau.  Und  schau  noch  einmal.  Du  fieberst vielleicht. Aber du schaust. 
Und  fuhr  zurück.  Erfüllt,  fand  er,  von  einer  überirdischen  Müdigkeit. 
Zu  Hause schlich  er  sich  ins  Haus und  ins  Bett.  Anna  sah  noch  fern,  also  hörte  sie  ihn  nicht  kommen.  Als  er  im  Bett  lag,  versuchte  er,  etwas  zu  denken,  was  nicht  zu  Beate  Gutbrod  führte.  Als  das  nicht  gelingen  wollte,  probierte  er,  was in ihrem Namen als Noten vorhanden war, zu summen  oder leise zu singen: Beae. Also Bea könnte er sie nennen.  Oder das t zum d machen, dann klingt es so: Beade. Das  letzte e wie das erste. Da fiel ihm Brahms ein, der wollte eine  Agathe  in  Musik  verwandeln  und  komponierte  einen  inni gen Ruf aus aga − he. Gottlieb hätte die Innigkeitssignale,  seins  und  das  von  Brahms,  jetzt  gern  auf  dem  Klavier  mit  einander  verglichen,  aber  das  Klavier  stand  im  selben  Zim mer  wie  der  Fernseher.  Er  würde  sich  nicht  wehren.  Selbst  die Wunde namens Gabriele hatte sich eines Tages geschlos sen angefühlt. Und das war ... nein, keine Vergleiche. Damals  waren  in  acht  Tagen  sechzehn  Briefe  eingetroffen.  Eine  heftige  Theologin  war  vom  La  MettrieFieber  befallen  worden und mußte das dem sagen, der schuld war oder dem  sie  das  verdankte.  Dann  das  Ausleben  einer  gemeinsamen  Befallenheit. Er war jetzt allein. Das war zumutbar. Wenn er  nur wirklich allein gewesen wäre. Wenn er nicht alles, was in  ihm  geschah,  hätte  weitersagen  müssen.  Anna  war  das  Problem, nicht Beate. Vierzig Jahre, bitte, von ihm aus auch  fünfzig oder sechzig. Solange er mit sich allein war, ertrug er  alles.  Aber  daß  es  von  ihm  erwartet,  ja  verlangt  werden  konnte, so etwas einem zweiten Menschen, und sei es Anna,  verständlich  zu  machen,  das  erbitterte  ihn.  Ohne  zu  lügen  ging  da  nichts.  Irgendwann  hatte  das  gewöhnliche  Lügen  aufgehört. Das Leben war mitteilbar geworden, Anna und er  waren ein Paar, enger bei einander, glaubten sie, als alle, die  sie  kannten.  Anna  hatte  eine  Stimmung  entstehen  lassen −  und  er  hatte  zugestimmt −,  eine  Stimmung  des  Alleshinter sichhabens.  Ihnen  konnte  nichts  mehr  passieren.  Ihnen  passierte  auch  nichts  mehr.  Ihm  passierte  nichts  mehr.  Es  durfte  nur  nicht  erwartet,  ja  verlangt  werden,  daß  er,  was  ihm 

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