Der Augenblick der Liebe
und er hat La Mettries Wichtigstes, sich selbst auf¹s Papier zu bringen, wichtig genommen. Und das ist geworden: Der Gefangene wird sich durch La Mettrie seines Gefangenseins bewußt und fliegt nach Kalifornien, um dort Zeugnis abzulegen für eine Wirkung La Mettries, die diesen Philosophen mehr ehrt und erklärt als alle Wissenschaftelei. Und sie: Wenn er das in der Diskussion nach seinem Referat sage, riskiere er, daß das Auditorium ihn auspfeife. Einmal abgesehen davon, daß sie als seine Dolmetscherin sich unfähig fühle, Wissenschaftelei englisch auszudrücken. Das allerdings wäre ein Glück, denn er spräche ja zu Wissenschaftlern und solchen, die es werden wollten.
Er hatte vorgeschlagen, einen der drei Tage am Meer zu verbringen. Sie lehnte das ab. Mit jedem Wort, für das sie eine erlebbare englische Entsprechung fänden, werde es den hiesigen Highbrows schwerer gemacht, den Amateur aus Germany zu belächeln oder gar zu beschimpfen. Letzteres glaube sie allerdings nicht. Ein Campus sei ja kein Bierzelt. Aber sie habe eben diesen Gast vorgeschlagen, also wäre sein
Nichterfolg ihr Mißerfolg. Also kein Tag am Meer, sondern ein Ringen um jedes Wort, jede Nuance.
Diese Beate J. war viel stärker, als er geahnt hatte. Ihre Angstbereitschaft war Stärke. Ihr Ernst, ihr Genauigkeits wille, ihre Niezufriedenheit, ihre Vollkommenheitsvorstel lungen, alles nichts als Stärke. Sobald wieder ein Ausdruck gelungen war, jubelte sie. Wenn das nur nie aufhörte, konnte sie dann sagen. Immer so weiter. Immer und ewig mit dir um Wörter ringen, Bedeutungen retten, Nuancen leuchten lassen.
Dann die Sprechproben. Er mußte seine Mund, seine Gesichtsnerven und seine Seele mit diesen englischen Sätzen so vertraut machen, daß er jede gleich zu produzierende Tonnuance schon im voraus wußte, einen Sekunden bruchteil, bevor dieser Ton fällig war. Alles wie von selbst: So sollte Englisch aus ihm kommen. Intonation! Und die größte Schwierigkeit: die französischen Sätze. Die verlangten doch einen ganz anderen Laut. Die französischen und die englischen Vokale sind einander so fremd wie eine Mondnacht und ein Diamantcollier. Beides blitzt, aber wie verschieden! Da heißt es, das ganze Nervensystem in Nullkommanichts umzustellen. Hier gewölbte Mondschein laute und da vor Energie blitzendes Gesteinsfeuer. Eine Sprache ist ja zuerst eine Melodie und erst dann ein System aus Grammatik und Wortbedeutungen. Jetzt war es an ihm, nicht nachzugeben. Jetzt war er unersättlich genau. Ihm war die Performance dort in der Dwinelle Hall wichtiger als die Übersetzung. Er wollte die überraschen, eine flawless Performance wollte er, die sollten staunen. Zehn Seiten, zu lesen in dreißig Minuten. Fünfzehnmal hatte er die zehn Seiten sicher gelesen, bis er, von Beate J. kritisch abgehört, alle Töne so herausbrachte, daß die englische Sprache nicht aller wunderbaren Laute beraubt zu sein schien. Er hätte noch weitergelesen, aber die Regisseurin warnte: Dann bringe er zwar die Intonation, aber die Stimmbänder schlügen nicht mehr an. Er ging sofort auf Flüstern über. In diesem Augenblick, sagte sie, sei sie so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Der Text funktioniere jetzt auch auf Englisch, Gottlieb W. sei ziemlich musikalisch, das heißt, seine Aussprache sei nicht mehr barbarisch.
In der letzten Nacht vor Berkeley träumte Gottlieb, daß Professor Rosenne zu ihm sagte: Ihr Englisch ist so exzellent, daß ich Sie nicht mehr für einen Ausländer halten kann. Das sagte er vor allen Zuhörern. Gottlieb bedankte sich für dieses Kompliment mit
Weitere Kostenlose Bücher