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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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und  er  hat  La  Mettries  Wichtigstes,  sich  selbst  auf¹s  Papier  zu  bringen,  wichtig  genommen.  Und  das  ist  geworden:  Der  Gefangene  wird sich durch La Mettrie seines Gefangenseins bewußt und  fliegt nach Kalifornien, um dort Zeugnis abzulegen für eine  Wirkung La Mettries, die diesen Philosophen mehr ehrt und  erklärt als alle Wissenschaftelei. Und sie: Wenn er das in der  Diskussion  nach  seinem  Referat  sage,  riskiere  er,  daß  das  Auditorium ihn auspfeife. Einmal abgesehen davon, daß sie  als  seine  Dolmetscherin  sich  unfähig  fühle,  Wissenschaftelei  englisch auszudrücken. Das allerdings wäre ein Glück, denn  er spräche ja zu Wissenschaftlern und solchen, die es werden  wollten. 
    Er   hatte  vorgeschlagen,  einen  der  drei  Tage  am  Meer  zu  verbringen.  Sie  lehnte  das  ab.  Mit  jedem  Wort,  für  das  sie  eine erlebbare englische Entsprechung fänden, werde es den  hiesigen  Highbrows  schwerer  gemacht,  den  Amateur  aus  Germany  zu  belächeln  oder  gar  zu  beschimpfen.  Letzteres  glaube  sie  allerdings  nicht.  Ein  Campus  sei  ja  kein  Bierzelt.  Aber sie habe eben diesen Gast vorgeschlagen, also wäre sein    
Nichterfolg  ihr  Mißerfolg.  Also  kein  Tag  am  Meer,  sondern  ein Ringen um jedes Wort, jede Nuance. 
    Diese   Beate  J.  war  viel  stärker,  als  er  geahnt  hatte.  Ihre  Angstbereitschaft  war  Stärke.  Ihr  Ernst,  ihr  Genauigkeits wille,  ihre  Niezufriedenheit,  ihre  Vollkommenheitsvorstel lungen,  alles  nichts  als  Stärke.  Sobald  wieder  ein  Ausdruck  gelungen war, jubelte sie. Wenn das nur nie aufhörte, konnte  sie  dann  sagen.  Immer  so  weiter.  Immer  und  ewig  mit  dir  um  Wörter  ringen,  Bedeutungen  retten,  Nuancen  leuchten  lassen. 
    Dann   die  Sprechproben.  Er  mußte  seine  Mund,  seine  Gesichtsnerven und seine Seele mit diesen englischen Sätzen  so  vertraut  machen,  daß  er  jede  gleich  zu  produzierende  Tonnuance  schon  im  voraus  wußte,  einen  Sekunden bruchteil,  bevor  dieser  Ton  fällig  war.  Alles  wie  von  selbst:  So  sollte  Englisch  aus  ihm  kommen.  Intonation!  Und  die  größte Schwierigkeit: die französischen Sätze. Die verlangten  doch  einen  ganz  anderen  Laut.  Die  französischen  und  die  englischen  Vokale  sind  einander  so  fremd  wie  eine  Mondnacht  und  ein  Diamantcollier.  Beides  blitzt,  aber  wie  verschieden!  Da  heißt  es,  das  ganze  Nervensystem  in  Nullkommanichts  umzustellen.  Hier  gewölbte  Mondschein laute  und  da  vor  Energie  blitzendes  Gesteinsfeuer.  Eine  Sprache ist ja zuerst eine Melodie und erst dann ein System  aus Grammatik und Wortbedeutungen. Jetzt war es an ihm,  nicht nachzugeben. Jetzt war er unersättlich genau. Ihm war  die Performance dort in der Dwinelle Hall wichtiger als die  Übersetzung.  Er  wollte  die  überraschen,  eine  flawless  Performance  wollte  er,  die  sollten  staunen.  Zehn  Seiten,  zu  lesen  in  dreißig  Minuten.  Fünfzehnmal  hatte  er  die  zehn  Seiten  sicher  gelesen,  bis  er,  von  Beate  J.  kritisch  abgehört,  alle  Töne  so  herausbrachte,  daß  die  englische  Sprache  nicht  aller  wunderbaren  Laute  beraubt  zu  sein  schien.  Er  hätte  noch  weitergelesen,  aber  die  Regisseurin  warnte:  Dann  bringe  er  zwar  die  Intonation,  aber  die  Stimmbänder  schlügen nicht mehr an. Er ging sofort auf Flüstern über. In  diesem  Augenblick,  sagte  sie,  sei  sie  so  glücklich  wie  noch  nie  in  ihrem  Leben.  Der  Text  funktioniere  jetzt  auch  auf  Englisch,  Gottlieb  W.  sei  ziemlich  musikalisch,  das  heißt,  seine Aussprache sei nicht mehr barbarisch. 
    In   der  letzten  Nacht  vor  Berkeley  träumte  Gottlieb,  daß  Professor Rosenne zu ihm sagte: Ihr Englisch ist so exzellent,  daß ich Sie nicht mehr für einen Ausländer halten kann. Das  sagte er vor allen Zuhörern. Gottlieb bedankte sich für dieses  Kompliment  mit 

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