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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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tut  so,  als  komme  da  einer  aus  der  Nachbar schaft und lese zum hundertsten Mal vor, was ihm gerade zu  La  Mettrie  eingefallen  ist.  Wenigstens  die  Übersetzung  könnte er loben. Aber das hatte ja Beate schon verraten, daß  der  Herr  sich  jeder  Reaktion  enthalten  habe.  Machtaus übung,  dachte  Gottlieb.  Das  hat  der  schon  voll  drauf.  Wahrscheinlich  ist  es  ihm  jahrelang  so  gegangen.  Der,  dem  etwas  vorgelegt  wird,  kann  den,  der  etwas  vorlegen  muß,  schon durch Nichtreagieren förmlich zermürben. Wenn man  das  übersteht  und  dann  selber der  ist,  dem  etwas  vorgelegt  werden  muß,  zermürbt  man  den,  der  jetzt  von  einem  abhängig  ist,  genau  so,  wie  man  selber  immer  zermürbt  worden  ist.  Gottlieb  dachte:  Du  zermürbst  mich  nicht.  Das  hatte er hinter sich. Irgendwann muß Schluß sein mit diesem  Abhängigsein  von  anderen.  Sonst  hast  du  umsonst  gelebt.  Daß  er  umsonst  gelebt  habe,  mußte  er  sich  allerdings  dann  und  wann  eingestehen.  Aber,  bitte,  nicht  hier,  zehn  Flug stunden  von  daheim.  Hier  kommt  es  auf  nichts  an.  Die  wissen doch alle nicht, daß du nicht ihretwegen hier bist. Du  bist  hier  wegen  dieser  viel  zu  jungen  Frau.  Das  ist  alles  so  gekommen,  wie  es  keiner  wissen  darf.  Und  das  ist  deine  Stärke, dein Schutz und Schirm, die können dir alle egal sein,  dir  kommt  es  nur  auf  sie  an,  Themire.  Du  bist  hier  nur  als  Sylvandre.  Laß  alles  schief  gehen,  aber  es  wird  nicht  alles  schief  gehen,  nie  geht  alles  schief,  aber  selbst  wenn  alles  schief  ginge,  Themire  und  Sylvandre  sind  ein  Paar,  La  Mettrie ist Zeuge. 
    Dr.   Wendelin  Krall war  der  erste  Referent der  La  Mettrie Tagung  in  Kalifornien.  Vielleicht  war  Gottlieb  der  Un wichtigste,  vielleicht  der  Wichtigste.  Beate  hatte  aus weichend  geantwortet.  Sie  war zum Programmaufbau  nicht  befragt worden. Offenbar waren alle, die zur Tagung gekom men waren oder kommen würden, schon zum ersten Referat  erschienen.  Der  Hörsaal  war  gut  besetzt.  Gottlieb  zählte  im  Hineingehen  die  Reihen,  multiplizierte  mit  zwanzig,  soviel  etwa  saßen  in  einer  Reihe,  also,  dreihundert  Plätze,  davon  zirka  zweihundert  besetzt.  Vorne  erwartete  ihn  der  Profes sor,  die  Vorstellung  besorgte  jetzt  Mr.  Hardy,  Beate  hatte  sich  schon  im  Hineingehen  von  Gottlieb  getrennt,  hatte  irgendwo Platz genommen. Der Händedruck des Professors  war so lasch weich unspürbar, wie der von Rick Hardy krass  und aggressiv war. Man hätte wieder die Hand besehen und  sie  fragen  können:  War  was?  Und  Frau  Professor  Patricia  Best! Gottlieb behielt ihre Hand viel länger in der seinen, als  es üblich war, und sagte aus vollem Herzen, daß er sich sehr  freue,  Frau  Professor  Best  kennenzulernen.  Daß  er  von  ihr  gehört und zwar nur Schönes gehört habe, konnte er, wollte  er  nicht  verbergen.  Dr.  Krall  durfte  in  der  ersten  Reihe  zwischen  Patricia  Best  und  Rick  Hardy  Platz  nehmen.  Professor Dr. Glen O. Rosenne eröffnete die erste La Mettrie Tagung auf amerikanischem Boden mit einem Satzfragment  La  Mettries:  Armezvous  du  flambeau  de  l¹Expérience!  Gottlieb  fand, daß der Herr Professor den Rest des Satzes nicht hätte  weglassen dürfen. In ihm ergänzte es sich automatisch:  ... et  vous ferez  á  la Nature l¹Honneur qu¹elle merite.  Aber dann hätte  der  Professor  den  Trompetenton  nicht  geschafft,  den  er  für  den Anfang brauchte. Sieh das, bitte, ein. Gottlieb sah¹s ein.  Referenten aus fünf Ländern seien dazu erschienen, sagte der  Professor.  Und  da  Julien  Offray  de  La  Mettrie  seit  Diderot  immer  noch  verrufen  sei  als  der  bis  zu  de  Sade  unan ständigste Philosoph, sei es sicher kein Zufall, daß die Refe renten  eher  aus  katholischen  als  aus 

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