Der Augenblick der Liebe
hat, war es für Beate lebenswichtig zu erfahren, ihre Wirkung habe die Ehe außer Kraft gesetzt. Tatsächlich war die Lüge, daß mit Anna nichts mehr sei, dann immer mehr Wahrheit geworden. Auch wenn noch etwas stattfand zwi schen ihnen, waren es für ihn bloße Beatebeschwörungen geworden. Beate hatte sozusagen gesiegt. Er hatte, als er ihr das beteuert hatte, die sogenannte Wahrheit gesagt. Wahr heit gibt es. Augenblicksweise.
Diese Augenblicke heißen Glück. Und sobald wieder die Verheimlichungspflicht regiert, herrscht das normale Unglück. Dafür zahlt man. Also ist dem Unglücklichen kein Vorwurf zu machen. Mit keinem Vokabular der Welt. Der Unglückliche ist quitt.
Beate sagte: Das war jetzt frech, gell.
Er hatte aber nicht gehört, was sie gesagt hatte. Sie hatte, was frech gewesen sein sollte, von der Kochecke aus gesagt. Er sagte: Überhaupt nicht. Und er war sicher, daß er das sagen konnte. Sie hatte schon ein paar Male so auf etwas von ihr Gesagtes reagiert. Jetzt paßte es, jetzt konnte er ihr Das warjetztfrechgell darstellen als Reaktion auf den Alters unterschied. Jetzt konnte er den Unterschied verkaufen als die Unmöglichkeit schlechthin. Ihre Angst, frech gewesen zu sein, sagte alles. Es war von Anfang an eine Illusion, von beiden gefühlt, von beiden geleugnet, von beiden ausge stattet mit Wahrheitswut und so weiter. Er habe sich von Anfang an als Hochstapler gefühlt. Aber der Hochstapler leistet mehr als er zu leisten glaubt. Sich als Hochstapler zu empfinden ist eine Form der Bescheidenheit. Vielleicht sogar der Schüchternheit. La Mettrie hätte zu keinem anderen Er gebnis kommen können. Und wo wir schon so weit sind, laß uns gestehen die Austauschbarkeit eines jeden Mannes, einer jeden Frau. Sie hat ihn zwar in ihren Briefen phantastisch ausgezeichnet mit Notwendigkeit, hat sich und ihn in ein Schicksal hineingeredet, das hat ihn so belebt, daß er die prinzipielle Austauschbarkeit glatt vergessen hat, also fing auch er an zu schwärmen, hat nicht anders gekonnt, als sie in eine Einzigartigkeitsgloriole zu hüllen, ihr eine Unver gleichlichkeitsaura anzutun, das war doch schön ... Sie hielt ihm den Mund zu. Wir sind keine grief party, sagte sie und fuhr fort im Schlagzeilenton: Auf dem Sofa der Mörderin vergewaltigt. Wer von wem, sagte er und griff nach dem Glas. Sie war schneller, sie trank es aus und zeigte ihm so, daß sie jedes Glas, das er einschenken würde, vor ihm austrinken werde. Das hieß: Keine Flucht in die Besoffenheit. Das hieß: Dageblieben! Er sollte ihr lieber sagen, wie sie gelebt hat ohne ihn. Sie hat es vergessen. Sie kann sich an nichts mehr erinnern. Als sie zu ihm kam, auf die Terrasse, er im hellblauen Cordhemd, wie hat sie da auf ihn gewirkt? Das war ja die, die bis dahin ohne ihn hat leben können. Bitte, er soll ihr die schildern, vielleicht kann sie sich dann an die erinnern, die sie war, bevor sie ihn kannte. Aber er hörte auch der Waschmaschine zu, die aus dem Bad hereindröhnte und stöhnte, dann wieder innehielt, als sei es ihr zu anstrengend, als müsse man ihr zu Hilfe kommen, dann legte sie aber wieder los, klang wie ein Flugzeug, das die Triebwerke aufgedreht hat, gleich starten will, noch einmal zerfällt, wie von vorne anfängt, auf die höchste Umdrehung zurast, aber mühelos jetzt, hört sich an wie Leerlauf, die Waschmaschine landet, läuft aus, es kann wirklich nichts mehr kommen. Bitte, bitte, würdige doch endlich, was Beate inzwischen hergezaubert hat, ja, gezaubert, aus dem Kühl schrank ein SpaghettiEssen, und er hatte
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