Der Augenblick der Liebe
Lebensschwierigkeit vorzutragen, sie wäre die einzige, die ihm, ohne urteilen zu müssen, zuhören könnte. Was macht sie, fragte Beate. Sie arbeitet in einem Steuerbüro, sagte Gottlieb, hat sich spezialisiert auf Umsatzsteuer. Lebt mit einem schwarzen Amerikaner zusammen. Der ist, als seine Einheit auf dem Balkan Krieg führen sollte, bei ihr untergeschlüpft. Will bei ihr bleiben. Für immer. Hat nichts gelernt, außer vier Jahre Army. Vor her in San Antonio Telephonverkäufer für ein Reinigungs mittel, sechs Dollar die Stunde, zweihundert Stunden pro Monat am Apparat. Sieben Jahre jünger als sie. Man hat sie nicht gefragt, warum sie diesen Bob aufgenommen hat, sie hat von sich aus gesagt: Er hing in der Luft.
Schweigen.
Ach, Beate, sagte er dann, wohin flieht man, wenn das Ende sich aufdrängt? Dahin, wo es am krassesten klar wird, daß man am Ende ist, zu Beate, nach Amerika. Das sind seine Empfindungsdaten. Geliefert von seinen Philosophen, von seinen Sinnen also. Er habe den Rückflug um eine Woche vorverlegt.
Er hätte sowieso nicht weitergesprochen. Aber sie schrie auf, sprang auf, übrig blieb ein längeres Nein.
Auf dem Bildschirm lag das Paar immer noch im Bett, aber der Mann hatte sich zur Seite gedreht, weg von der Frau, offenbar weinte er, es schüttelte ihn geradezu vor Weinen, die Frau kniete hinter ihm, machte ein ratloses Gesicht und streichelte ihn wie einen Kranken. Gottlieb beneidete diesen Mann.
Sie hatte den Kimono an, dessen Schwarz und Silber noch nie so gut gepaßt hatten wie jetzt, als sie sich krümmte und bog und mit den Fäusten auf das Sofa eintrommelte.
Sie würde die Nacht auf dem Sofa verbringen, er würde auf der Liege ausharren. Er trank die Flasche Bourbon leer.
Plötzlich stand er auf, ging hinüber zu ihr, legte sich eng neben sie, zwischen sie, sagte, er sei genau so erschrocken wie sie, als er sich so reden hörte. Aber müsse nicht wenig stens ein Tausendstel von dem, was in einem passiere, her aus? Zwischen zweien wie sie und er. Das Gerede vom Sturz ist Wortstroh. Das Hinab so bremsen, daß es kein Sturz wird, sondern ein Untergang. Jetzt, nach dem schönen Bourbon, hat er mehrere Bedürfnisse. Erstens will er auf sie einplau dern von zu Hause. Was er jetzt empfindet, und sie wisse, daß La Mettrie alle Erkenntnis mit Empfindung beginnen läßt, möchte er eine unschuldige Sehnsucht nennen. Nach dort. Nach dieser Familie, die er seine Familie nennen muß. Er möchte sie alle andauernd aufzählen. Inklusive Anna. Und daß er das Beate so hinsagen kann, daß er das nicht finster verheimlichen muß, das zieht ihn hin zu Beate. Er kann gar nicht sagen, wie. Er will jetzt auch einmal Schlagzeilen machen: Besoffener Gastreferent fickt Graduate Studentin ins Leben.
Danach verschraubten sich beide auf der Liege in einander. Beate löschte den Fernseher. Gottlieb lag noch wach, als sie schon schlief. Ihm war, weiß Gott, warum, fromm zumute. Er hatte dieses Hochgefühl der Biederkeit, es allen recht gemacht zu haben. Also auch sich selbst.
Am nächsten Vormittag, als Beate in ihrer Klasse war, rief Gottlieb die Lufthansa an und verlegte den Flug noch einmal, und zwar auf den nächsten Tag. Das wird teuer. Er muß die Fluglinie wechseln. Ihm egal. Oder nicht egal. Egal.
Als sie zurückkam, gab sie sich erstaunt. Sie habe ge fürchtet, geglaubt, er sei, wenn sie zurückkomme, nicht mehr da. Und riß ihn an sich und aufs Sofa. Und entschuldigte sich dafür, daß sie so etwas habe denken können. Aber dieser Tag sei der Tag der Katastrophe, was lag da näher, als
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