Der Augenblick der Wahrheit
Finger davon lassen?«
»Da steckt eine Million oder mehr drin. Sicher mehr. Du mußt einen gewichtigen Grund haben.«
»Den hab ich auch.«
Ich erzählte ihm die Geschichte. Er hörte aufmerksam zu.
Oscar konnte flatterhaft, gesprächig und oberflächlich heiter sein, aber das war Fassade. Er war in der Regel ein seriöser Geschäftsmann, und er kannte mich gut genug, um zu wissen, daß es für eventuelle Vorbehalte von meiner Seite immer einen Grund gab. Ich hatte in meinem Leben Tausende von Bildern geschossen und Hunderte, auf die manche Leute am liebsten verzichtet hätten, Oscar wußte also ganz gut, daß es bei mir nicht um moralische Skrupel ging.
»Wir werden Gloria gleich einweihen«, sagte er, »aber ich sehe eigentlich kein Problem. Es kann nicht bewiesen werden.
Du hast nichts falsch gemacht. Sie waren auf öffentlichem Gebiet. Dein Name wird nicht genannt. So ist es ja immer.
Jeder, der ein bißchen was davon versteht, weiß sowieso, daß die richtigen Enthüllungsfotos von OSPE meist von Lime stammen, nicht?«
Er hatte recht, ich nickte.
»Es ist vor allem ein Gefühl«, sagte ich.
»Das respektiere ich. Gloria soll sich ein bißchen umhören.«
»Okay«, sagte ich, aber ich hatte nach wie vor das Gefühl, daß wir es sein lassen sollten. Ich hatte keine Argumente dafür, und ich hatte volles Vertrauen in Glorias und Oscars Urteilskraft. Sie kannten das öffentliche Minenfeld, die Grenze zwischen dem Legalen und dem Möglichen. Sie verstanden, den menschlichen Klatschtrieb auszunutzen, aber sie wußten auch, daß die Anwaltshonorare, falls wir Ungesetzlichkeiten begingen, rasch den Profit fressen konnten. Das ist simple Mathematik, pflegte Gloria zu sagen.
»Wir geben der Sache ein paar Tage«, sagte Oscar und stand auf, um zu telefonieren.
Er rief Gloria an. Ich hörte, wie er sie in die Geschichte einweihte. Er stand an meinem Schreibtisch, und ich sah, wie er das schwarzweiße Foto aus der Vergangenheit in die Hand nahm. Er warf einen Blick darauf und legte es wieder hin. Wir kennen uns seit so vielen Jahren, daß er nicht das Gefühl haben mußte, er wühle in meinen Sachen. Dann nahm er das Foto wieder in die Hand, während er Gloria plötzlich ganz geistesabwesend in seinem langsamen, akzentreichen, aber korrekten Spanisch antwortete.
»Sechzehn Uhr?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. Um vier hatte ich einen Termin bei den Japanern. Ich brauchte das, das merkte ich. Ich hatte diese merkwürdige Unruhe im Körper, die Finger kribbelten, es rieselte das Rückgrat hinunter, der Magen sauste, der Mund war trocken. Es gab eine Menge Warnzeichen. Ich brauchte körperliche Müdigkeit, und vielleicht sollte ich überlegen, bald einen zweiten Termin zu machen. Eigentlich hatte ich gedacht, es sei nicht mehr nötig.
»Peter kann nicht«, sagte Oscar. »Wie wäre es gleich jetzt?«
Wieder schüttelte ich den Kopf. Oscar hielt das Foto in beiden Händen und hatte den Hörer unterm Kinn festgeklemmt. In einer halben Stunde hatte ich eine Sitzung mit einer 56jährigen Diva vom königlich spanischen Theater, die sich entschlossen hatte, ihrem neuesten Liebhaber ein Porträt zu überreichen, das sie, hatte ich ihr versprochen, so mystisch schön wie Mona Lisa aussehen lassen würde.
»Sechs Uhr?« fragte Oscar dann. Er schaute auf die Rückseite des Fotos, ehe er es wieder auf den Schreibtisch legte. Ich nickte, und er gab Gloria einen Kuß durch den Hörer. Das war vielleicht ein Paar, die beiden – entweder verliebt oder jeder sein Leben lebend. Er drehte sich um, lehnte sich mit dem Hintern an den Tisch und zündete eine Zigarette an.
»Wer ist die mystische Frau?« fragte er und zeigte auf das Bild.
»Weiß ich nicht genau«, sagte ich. Ich wußte es ja eigentlich doch, aber ich hatte keine Lust, großartige Erklärungen abzugeben. Es wunderte mich nicht, daß er fragte. Oscar war durch und durch neugierig, und das war einer von vielen Gründen, warum er seine Arbeit so gut machte.
»Warum ist das aufgetaucht?«
Ich erzählte ihm von der Frau vom Polizeilichen Nachrichtendienst in Kopenhagen.
»Und hast du die Negative?« fragte er.
»Warum bist du so interessiert an einem alten Foto? Kennst du sie?«
»Nein. Aber sie ist schön. Auf so eine mystische, geheimnisvolle Art. Als ob sie sagen würde: Ich habe viele Geheimnisse. Nur ein starker Mann kann den Schlüssel dafür finden. Es ist schwer, mich aufzuschließen, aber wenn du es schaffst, wird die Belohnung groß sein.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher