Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
auch anfassen und begreifen, das ist der Körper, den wir natürlich auch geliebt haben, an Händen, an Nase, an Augen, Kopf und Ohren. Nun ist er tot und auf unsere Hilfe angewiesen, für die neue Etappe, die beginnt wenn der ›Geist‹, so sagen die Spirituellen, oder die ›Seele‹, so sagen die Gläubigen, dann aus dem Körper geht. Und dazu gehört ja auch eine liebevolle Bestattung.
Aber dazu gehört auch, wenn es möglich ist, die Teilnahme am Sterben. Also nehmen wir an, die Freundin, der Mann, das Kind ist im Krankenhaus, es gibt eine Todesdiagnose. Man kann nichts mehr für sie tun. Dann kann ich sagen, gut, es macht Umstände, es wird schrecklich sein, aber ich nehme mir die Zeit und hole sie nach Hause zum Sterben, in ihre vertraute Umgebung. Technisch ist das kein Problem, es gibt Homecare-Ärzte, Pflegehilfen, Infusionen und Schmerzmittel. Viele sagen, sie haben Angst davor, daß sie nicht erkennen, wenn der Tod eingetreten ist. Aber so ist das nicht. Man spürt es. Die Menschen müssen einfach wieder vertraut gemacht werden mit ihren eigenen Instinkten, mit ihrer Intuition, mit ihren Stärken. Diese Eigenschaften und dieses Wissen, das jeder in sich trägt, ermöglicht auch, genau zu sehen, der Mensch ist jetzt ohnmächtig, oder der Mensch ist tot. Das spürt man genau, darauf kann man sich verlassen. Sie brauchen keinen Arzt dazu. Der Arzt muß natürlich trotzdem geholt werden, um den Leichenschauschein auszustellen, mit dem dann der ganze bürokratische und organisatorische Teil bei den Ämtern eingeleitet wird.
Und dann haben sie drei Tage Zeit zum Abschiednehmen zu Hause. Sie können in aller Ruhe und ungestört die Waschungen vornehmen, auch die Haare noch mal waschen, sie können sagen, ich schneide noch mal die Fingernägel und die Fußnägel, und ich ziehe ihm vielleicht seine Lieblingssachen an. Aber das nehmen die wenigsten Leute in Anspruch. Meist werden die Bestatter sofort geholt, und die bringen die Toten weg. Nur wenn ihr Angehöriger im Krankenhaus stirbt, oder die Leiche wegen Unfall, Suizid u. ä. beschlagnahmt wurde, dann bekommen sie den wegen der Vorschriften ohnehin nicht mehr nach Hause. Sie haben aber die Möglichkeit, den Toten noch mal zu sehen und Abschied zu nehmen, z. B. in unseren Räumen, die liegen etwas außerhalb von Berlin, wegen der Vorschriften. Wir lassen uns eigentlich unsere Toten viel zu leicht wegnehmen, leider. Wir lassen uns doch sonst nichts im Leben wegnehmen, nicht den Autoschlüssel und nicht den Geldbeutel, nicht die Handtasche. Aber unsere Toten … generell den Tod. Viele sagen auch, sie haben es nicht geschafft, sie haben Angst, auch vor den Gerüchen. Am zweiten Tag können die Gerüche schon mal leicht unangenehm werden für unsere unerfahrenen Nasen. Das hat natürlich auch viel mit der Medikamentierung zu tun. Es ist schwierig z. B. bei Krebspatienten, das muß ich den Hinterbliebenen sagen. Die haben Chemobomben hinter sich, die Leichenflecken kommen schneller, wenn der Bakterienhaushalt explodiert, die Flüssigkeiten treten einfach aus, weil die Zellen zerstört sind. Da muß man viel Flüssigkeit dämmen und wattieren, das nimmt schon dramatische Züge an, manchmal.
Dann rufe ich eben schon nach einem Tag den Bestatter. Aber in der Regel verläuft alles ganz normal. Früher wußte man eben, was zu machen ist, man schließt dem Toten die Augen, das Kinn wird hochgebunden, damit der Mund geschlossen bleibt, Gläubige haben die Hände gefaltet zum Schluß. Heute erfahren die Angehörigen alles von mir, was nötig ist. Manchmal werde ich gefragt, ob ich die Toten auch schminke für den Abschied. Also, ich hab’s mal probiert, noch mal die Lippen ein bißchen und so, und da dachte ich, nein ! Das sieht gemein aus, das geht ins Puppige, ins Groteske. Der Tod setzt sich einfach durch, zielstrebig, da läßt sich nichts parfümieren, nichts schminken, also laß ich es sein.
Im Prinzip kann jeder seinem Verstorbenen die letzten Dienste und Ehrungen selbst erweisen, bis auf Sarg und Überführung. Aus der Sargtischlerei und den Fuhrbetrieben ist der Bestatterberuf ja mal hervorgegangen. Bei uns darf keiner privat einen Leichnam transportieren, das darf nur in den dafür speziell präparierten und zugelassenen Leichenfahrzeugen der Bestatter gemacht werden Für die Farbe bestehen keine Vorschrift. Bei mir gibt es ein silbergraues, ein dunkelblaues und ein schwarzes. Meine Fahrer haben übrigens dunkelblaue Anzüge an. Also, wenn ich jetzt hier
Weitere Kostenlose Bücher