Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
daß sich fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische und antisoziale Einstellungen vom ultrarechten Rand der Gesellschaft – einer Gesellschaft, die gestern noch gefragt hat »Wie war es möglich?« – bis hinein in ihre Mitte sozusagen stillschweigend ausgebildet und etabliert haben. Mit diesem Spektrum bekommt zu tun, wer sich querstellt.
Nachdem anfängliche Bedenken ausgeräumt waren, empfängt uns Katja Herrlich in ihrer WG mit Tee und überraschender Offenheit. So fest wie ihr Händedruck scheint ihre gesamte Persönlichkeit zu sein. Sie wirkt auf eine angenehme Weise selbstsicher, energisch und verläßlich. Sie möchte nicht fotografiert werden.
»Ich muß ja nicht mit Bild erscheinen, die sollen sich ihre Fotos selber suchen. Sie hatten mich ja schon auf ihrer Liste, die Neonazis, ›Frankfurter Frontberichter‹ nannte sich das, ich wurde da geführt als Hauptverantwortliche für den ›roten Terror‹ hier in der Stadt. Das Theater mit den Deppen geht ja schon mehr als dreizehn Jahre, ich erzähl’ einfach mal, damit ihr euch ein Bild machen könnt. 1992 bin ich hierher an die Uni gekommen, zum Jurastudium. Ich bin im Spreewald aufgewachsen, als DDR-Kind, sozusagen, ganz normal. Das Erste, was ich nach der Wende von Frankfurt/Oder gesehen habe im Fernsehen, war der Beschluß, die Uni neu zu gründen, und das waren die Bilder von den Flaschen- und Steinwürfen zum Empfang der polnischen Bürger, als sie hier rüberkamen 1991, als die Visaregelung geändert worden war. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch zu Hause. Das hat mich schon gestört. Als ich dann aber hier war, im Studentenheim gewohnt habe, hatte ich bald viele Kontakte, auch in der Stadt. So kam ich eigentlich rein in meinen heutigen Freundeskreis.
Anfang der 90er war das relativ kraß hier, politisch. Es gab diese erste Hausbesetzerszene bei uns, und die hatte ständig Streß mit den Nazis, die richtig in Horden ankamen und das Haus angegriffen haben, so daß es die Leute dann oben vom Dach aus verteidigen mußten. Es war dann so, daß die Staatsanwaltschaft relativ rigoros vorgegangen ist gegen die Nazis. 1993, glaub’ ich, gab es einen Angriff auf einen Nigerianer am Bahnhof der Täter bekam sieben Jahre. Und auch gegen Nazidemos ist massiv vorgegangen worden – auch vom Staat. Wahrscheinlich hat sich das deshalb alles hier etwas beruhigt. Bei der Hausbesetzung, bei der ich dann dabei war, 1994, da ging’s nicht mehr so kraß zu. Ja, es gab schon Vorfälle, auch in der Stadt, daß ausländische Studenten nachts angemacht worden sind, besonders in der Straßenbahn. Uns haben sie eher in Ruhe gelassen, die eineinhalb Jahre, die wir unser Haus hatten. Das war aber zugleich der Zeitraum, in dem die sich unheimlich entwickelt hat, die Naziszene, organisatorisch. Da gab’s dann ein sogenanntes ›Nationales Pressearchiv‹, den Nationalen Beobachter , aus dem dann der Frankfurter Frontbeobachter wurde, das gab’s übrigens bis Mitte 2005. Also, das waren bundesweit vernetzte Hetzpostillen, im Rahmen der sogenannten ›Anti-Antifa‹-Aktivitäten. (»Anti-Antifa-Arbeit« der Rechtsextremen seit den 90er Jahren, mit dem Ziel, linke Strukturen zu zerstören und zu diesem Zweck Daten und Informationen zu sammeln über Personen und Projekte, arbeitet örtlich und regional. Auch der »Märkische Heimatschutz« macht »Anti-Antifa-Arbeit«. Anm. G. G.) Die ausgespähten politischen Gegner – Leute wie wir, und auch Politiker, Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Journalisten – wurden mit Namen, Adresse und Autokennzeichen veröffentlicht, drunter dann die Aufforderung: ›Kameraden, laßt euch was einfallen.‹ Später, bei einer Hausdurchsuchung, in einem anderen Zusammenhang, wurden deutlichere Aufforderungen gefunden, z. B. ›Klagt nicht an – richtet!‹.
Dann gab’s hier den Jörg Hähnel, der wurde später Bundesvorstandsmitglied der NPD (gegr. 1964. Anm. G. G.). Er leitet in Berlin den NPD-Kreisverband Pankow, ihr kennt ihn sicher, weil er sich dort massiv gegen den Bau einer Moschee einsetzte. Hähnel war hier zuerst im Ordnungsdienst der JN (Junge Nationaldemokraten, Jugendorganisation der NPD, gegr. 1969. Anm. G. G.). Da gab’s in FFO so ab 1996 eine feste Gruppe von fünfzehn Neonazis, und zu denen gehörten auch etwa sechzig Glatzen. Der Hähnel hat sozusagen dafür gesorgt, daß hier wieder eine organisierte Nazistruktur zu sehen war. Und er hat sich immer weiter hochgearbeitet zu einem NPD-Kader. Er hat uns ja
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