Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
es gab drei Ermittlungsverfahren gegen mich, die aber natürlich alle eingestellt wurden, weil nichts dran war. Ich hatte ja Akteneinsicht beantragt bei unserem Verfassungsschutz, weil ich natürlich wissen möchte, was da in meiner Akte steht. Man hatte mir einen Ordner zusammengestellt, genau sortiert, was ich zu sehen bekomme und was nicht. Ich hatte eine Rechtsanwältin mitgebracht. Man darf nichts kopieren, man darf nichts abschreiben, sich höchstens Notizen machen. Also, es stand da nichts weiter drin. Das, was ich schon erwähnt habe. Ich saß dann still da, habe Seite um Seite durchgeblättert, in Anwesenheit von zwei Personen, die uns unentwegt beobachteten und sich Notizen machten. Ich habe dann auch Auskunft beim Bundeverfassungsschutz beantragt. Das dauert nun schon drei Monate. Für die ist Fakt, ich bin Bestandteil einer unliebsamen Szene, und die soll eingeschüchtert werden. Ich habe ja quasi meine Lebensumstände so ziemlich beibehalten, wohnungsmäßig und was den Freundeskreis betrifft usw. Ansonsten hat sich nur geändert, daß ich jetzt Freunde von mir verteidige. Das ist natürlich auch so was, was die Polizei nervt, daß hier die Antifa oder junge Linke in Frankfurt jetzt einen Rechtsbeistand hat, wo sie hingehen können. Was ja vorher so ein bißchen ein Problem war – weil es eigentlich keinen gab, der da jetzt speziell … Also, die kommen alle zu mir, und ich verteidige sie. Wie sehr das stört, konnte ich den Akten entnehmen, wo stand: ›Die bekannte Rechtsanwältin hat schon wieder Akteneinsicht gefordert!‹ Das ist ja eigentlich selbstverständlich, daß ein Anwalt, wenn er einen Fall bearbeitet, Akteneinsicht nimmt. Was die eben so nervt ist, daß ich das jetzt mache und aus meinem Job heraus praktisch sehen kann, wie ihre Arbeit läuft. Was sie machen, wie sie ermitteln.
Neulich war eine skurrile Situation, da war eine Gerichtsverhandlung mit Polizeizeugen, und die mußten nun meine Fragen beantworten, sie durften ihre Empfindungen nicht zeigen. Alle diese Dinge verärgern die Polizei schon sehr. Also, die Stimmung ist hier in der Stadt natürlich in keiner Weise entspannt, und die linke Szene bekommt das eben immer wieder zu spüren.«
Ihr Handy klingelt, nach einem kurzen Blick auf das Display legt sie es wieder zur Seite. »Ich hatte einen Mandanten, gegen den wurden auf Grund einer beschlagnahmten Foto-CD – auf der meinetwegen jetzt an Hauswänden aufgesprühte Parolen usw. zu sehen waren – dreizehn Verfahren eingeleitet. Weil’s dreizehn Bilder waren. Die Verfahren sind alle eingestellt worden, klar. Es kam gar nicht bis zum Richter. Es ging von der Polizei zum Staatsanwalt, und der hat sie dann eingestellt.
Also, das passiert jetzt häufig, daß Leute mit Verfahren überzogen werden, ohne daß sie eigentlich irgendwie einen richtigen Anhaltspunkt haben. Das Problem, das entsteht, ist folgendes: Wenn das Verfahren nicht vor Gericht kommt, weil die Staatsanwaltschaft es einstellt, dann gibt es keine Kostenerstattung. Normalerweise muß dann der Mandant die Kosten bezahlen, aber der Mandant hat ja – das wissen wir alle – in der Regel gar kein Geld. Deshalb hat sich jetzt eine Soligruppe gebildet hier in Frankfurt/Oder, die tragen z. B. auch mal ganz genau zusammen, wie viele, wo und welche Ermittlungsverfahren und -methoden zu verzeichen sind, um die Sache dann auch öffentlich zu machen. Es geht ja nicht, daß jemand einfach so in Anwaltskosten getrieben wird und darauf sitzenbleibt. Die Soligruppe macht auch Veranstaltungen, Partys, sammelt Spenden und lädt zu Solipatenschaften ein. Darüber wird das dann bezahlt. Es klappt gut. Auch mein Chef ist ja zum Glück verständnisvoll. Inzwischen gibt es relativ viele Anwälte in der Kanzlei. Jeder hat so etwa zwei Spezialgebiete, so daß eine ganze Bandbreite da ist. Ich mache Strafrecht und Verwaltungsrecht, innerhalb des Verwaltungsrechts vor allem Asyl- und Ausländerrecht. Und, das ist ja klar, im Zusammenhang mit dem Strafrecht Polizeirecht. Oder ich mache auch mal ein bißchen Straßenbau- oder Wasser- und Abwassersachen, was so anfällt eben. Nur, damit ihr mal seht«, sie lacht, »daß ich hier nicht die ›Antifa-Anwältin‹ bin, sondern auch ganz normal arbeite.«
Auf die Frage, wie es bei ihr dazu kam, warum » antifa «, sagt sie: »Oh, schwierige Frage. Ich bin ja, wie gesagt, DDR-Kind. Das war ja richtig Thema im Unterricht, die Geschichte der NSDAP usw. und natürlich die Geschichte des
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