Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
leider sehr mit seinem Singen belästigt. Er singt alte Volkslieder mit eigenen rechten Texten. Seine CD, die hieß, glaube ich, ›Lieder in klangloser Zeit‹. Er gibt sich gern ›bürgernah‹, hat mit Kameraden im Altersheim gesungen, Heimat und Soldatenlieder. 1998 war er auf Platz eins der NPD-Landesliste und Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in FFO, da hat er dann auch Bäumchen gepflanzt in Neu-Beresinchen, Eichen. Also, der fuhr so eine Doppelstrategie: Liedchen und Aufmärsche. Ein enger Freund von ihm, der mit ihm nach Berlin ging, der hat hier Leuten eine Gasknarre direkt aufgesetzt mit dem Spruch ›Schöne Grüße von der Anti-Antifa!‹, und dann wurden die Leute unter Zwang fotografiert. Dafür ist dieser Freund dann auch abgegangen ins Gefängnis. Hähnel hatte ja mal eine Gewaltverzichtserklärung abgegeben, vor den Kommunalwahlen 1998. Aber das hat die andern Nazis natürlich nicht daran gehindert, in Gruppen zu vierzig Leuten hier durch die Straßen zu ziehen, zum ›Zecken-Aufklatschen‹ und Ausländer-Zusammenprügeln, Zecken sind im Sprachgebrauch der Nazis Leute wie wir, Linke, und Punks.
Solche Vorfälle gab’s Ende der 90er Jahre hier oft, deshalb kam es dann ja auch zur ›Einladung‹ zu diesem ›Friedensgespräch‹ durch Staatsschutz und Staatsanwaltschaft. Ich war dort mit einem Freund. Mich hatte es getroffen, weil sie mich irgendwie für wichtig hielten, nur weil ich verschiedene Demonstrationen, die so liefen, angemeldet hatte. Die Nazis kamen zu dritt, darunter ein stadtbekannter Schläger. Ziel dieses Gespräches war eine ›gemeinsame Gewaltverzichtserklärung‹. Dieses Ziel scheiterte natürlich. Die Nazis wollten sich auf so eine Erklärung nicht einlassen und forderten statt dessen einen ›nationalen Jugendclub‹. Wir, als Linke, sahen gar keinen Anlaß, eine solche Erklärung abzugeben. Wir ziehen ja nicht los, um andere Leute zusammenzuschlagen. Wir wehren uns lediglich gegen die Nazis. Hier sollten rassistische Gewalt und antifaschistische Gegenwehr gleichgesetzt werden, das ganze Gespräch konnten wir nur als Farce betrachten. Den Vertretern der Stadt, die auch dabei waren, ging es eigentlich gar nicht um die Gewalt und die Opfer, sondern nur um den ›Standort‹, um den Imageschaden für die Stadt. Daß hinter dieser störenden Gewalt eine Ideologie steht von Rassismus und Intoleranz, die man nicht tatenlos hinnehmen kann, das interessierte die Stadt wenig. Dieses Gespräch ging also sehr schnell zu Ende, und alles lief weiter wie bisher. Der Hähnel übrigens war zu diesem Gespräch nicht erschienen.
Damals lief übrigens grade die ›Aktion Noteingang‹, das war eine von Jugendlichen initiierte Aktion; Geschäftsleute sollten Aufkleber außen anbringen mit Fluchtpiktogramm und der Aufschrift ›Wir bieten Schutz und Information bei rassistischen Übergriffen‹. Gegenaktion der Nazis: Sie klebten an die Geschäfte Zettel, die das Tor von Auschwitz zeigten und die Überschrift ›Aktion Noteingang‹. 2001 kam ja dann diese ›Aktion Analyse‹, wo Jugendliche aus zwölf Städten ihr Leben mit den Nazis darstellten. Dann ging Hähnel nach Berlin, da versuchte dann dieser Nico Schiemann hier den Vorsänger zu machen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist so ein Typ aus No Exit , dem Film von Franziska Tenner, die hat die sogenannte ›Freie Kameradschaft Frankfurt/Oder‹ ein Jahr lang gefilmt. Der Film lief neulich im ZDF, habt ihr ihn nicht gesehen? Da ist ganz schön zu sehen, wie die Szene sich so ein bißchen gespalten hat bei der NPD. Die Gewaltbereiten waren z. T. schon von Hähnel abgerückt und haben ›Freie Kameradschaften‹ gegründet. Nach dem Konzept ›führerloser Widerstand‹, das von den Neonazis aus den USA stammt und in Deutschland von Nazis wie Worch umgesetzt worden ist.
Also, die Schlägernazis bei uns hier hatten einfach keinen Bock mehr auf das politische Gequatsche der NPD. Dadurch war dann die Gruppe um Nico Schiemann ziemlich klein geworden. Auch das Umfeld hat sich verkleinert, Leute sind abgewandert usw. Jedenfalls zeigte sich das auch bei den Demonstrationen in den folgenden Jahren Das ist ein loser Zusammenhang von relativ jungen Leuten bis Ende zwanzig, einige Ältere sind auch dabei; die gehen also durch die Stadt, wenn irgendwelche NPD-Aktionen von außen hier hereingetragen werden, oder wenn vom ›Märkischen Heimatschutz‹ die Leute kommen. (»Märkischer Heimatschutzbund«, MHS, rechtsextreme Kameradschaft im
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