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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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der ich jetzt immer noch stecke. Eben weil ich mal ein paar Demos angemeldet habe, wird bis heute davon ausgegangen, daß ich diejenige bin, die Antifa-mäßig hier was zu sagen hat, Einfluß auf die Szene ausübt. Was ja nicht so ist, weil’s eben hier nicht irgendwelche Führer gibt, die die Richtung vorgeben. Das haben sie nicht verstanden, daß Antifa an sich schon immer ein Zusammenhang von Leuten war, wo jeder alles zu sagen hatte. Tatsächlich sind sie natürlich sauer, daß ich ihnen dreißig Verfahren ›kaputt‹ gemacht habe, wo sie Mist gemacht haben, wo meine Mandanten dann praktisch rauskamen und das Verfahren eingestellt werden mußte.
    Es gab letztes Jahr im April eine Hausbesetzung in Frankfurt/Oder, da war ich beruflich tätig. Jugendliche hatten ein schon lange leerstehendes Haus in der Innenstadt besetzt. Sie wollten ihrer seit Jahren ergebnislos vorgetragenen Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendzentrum mehr Nachdruck verleihen. Das waren Jugendliche von sechzehn bis zwanzig, die so sechs Tage etwa in dem Haus waren; es gab Vereinbarungen mit der Stadt – obwohl das Haus eigentlich dem Land gehörte –, daß die Jugendlichen erst mal drinbleiben können. Es gab Verhandlungen und Gespräche, es gab keine Probleme. Irgendwann kam plötzlich die Räumung, und neben den Hundertschaften der Landeseinsatzeinheit (LESE) rückte auch das SEK an. (Sonder- oder Spezialeinsatzkommando, jedes Bundesland hat eins, gegründet als Antiterrorkommando, zusammen mit GSG 9. Soll bei sogenannten »herausragend gefährlichen Einsatzlagen« zur Verwendung kommen. Treten in voller Kampfmontur an, schwarz gekleidet, vermummt, gepanzert und mit Maschinengewehr. Anm. G. G.) Das war völlig unangemessen, es zeigt die Polizeisicht auf die Dinge. Als ich dort auf den Hof kam, da war der zweite Satz, den ich hörte: ›Frau Herrlich, Sie gehen in Gewahrsam!‹ – und das, obwohl sehr genau bekannt war, daß ich als Anwältin da tätig und anwesend war. Ich bin dann natürlich nicht in Gewahrsam gegangen, aber erst nachdem der Chef des Sicherungstrupps die Anweisung gegeben hatte.
    Dazu muß man sagen, daß es im Herbst 2004 hier in Frankfurt/Oder einen Vorfall gegeben hat; es wurde ein Brandanschlag verübt auf das Wahlkampffahrzeug des brandenburgischen Wirtschaftsministers Junghanns von der CDU, das LKA hat dann die Ermittlungen aufgenommen, und die richteten sich massiv auf die linke Szene hier, die war natürlich, wie immer, unter Generalverdacht. Und solche Ermittlungen arten dann in so einen Verfolgungswahn aus, der jahrelang über jedes Maß hinausschießt. Interessant daran ist, daß das ja schon vorher der Fall war. Z. B. gab es hier diese Feierlichkeiten zum EU-Beitritt Polens und noch vieler anderer Länder, das ›Fest der Regionen‹, vom Land Brandenburg organisiert. Ein großes Volksfest. Es kamen auch Würdenträger. Der polnische und der deutsche Außenminister, der Ministerpräsident usw. und natürlich die internationalen Medienvertreter. Das ging bis Mitternacht, wo es dann den Händedruck der beiden Außenminister auf der Brücke und anschließend ein Feuerwerk und die »Feuerwerksmusik« von Händel gab, als Ausklang.
    Am Nachmittag hatte das Fest schon angefangen, und ich war mit einer Gruppe von Freunden dort, einfach weil’s ein schöner Freitagnachmittag war und wir mal gucken wollten, ganz normal. Das war anscheinend besonders verdächtig. Zuerst wurden wir von einem Polizisten fotografiert, da wußten wir schon … Danach hatten wir Zivilbeamte an uns hängen. Unsere Gruppe ging dann getrennt weiter, damit das aufhört, aber da wurde es nur noch schlimmer. Wir gingen zu zweit, und es folgten uns – jetzt nicht mehr aus der Entfernung, sondern in einem Schritt Abstand – sechs bis sieben Zivilcops. Auf dem Weg zum Klo vom Oderspeicher sind mir, glaube ich, zwölf Leute gefolgt. Unglaublich! Ich bin dann kreuz und quer über das Fest gegangen, stundenlang, und immer dieselben hinter mir her. Um zwei Uhr nachts haben sie mich hier zu Hause ›abgeliefert‹. Zu dem Zeitpunkt war ich keine Studentin mehr, habe bereits in meinem Job gearbeitet, das hatte aber keine Auswirkung auf die Observationspraxis. Also, sie hatten wohl befürchtet, daß es zu Kundgebungen kommt, und man will natürlich verhindern, daß im Fernsehen Protestaktionen zu sehen sind. Daß wir einfach nur so auf dieses Fest gingen, das wollte ihnen nicht in den Kopf.
    Mir kann überhaupt nichts vorgeworfen werden;

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