Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
gemacht, wenn er aber gekonnt hätte, wäre das sehr gut geworden. Die kleinen Sachen, die er immer gemacht hat – er hat für uns Kinderspielzeug aus Holz gebaut –, die waren wunderbar! Und dann hab’ ich noch einen großen Schatz behalten, und zwar die von ihm bemalte Ostereier. Er hat sie mit ganz einfachen Blüten bemalt, aber wie er die angeordnet hat, wie er die Farben kombiniert hat, das ist sehr künstlerisch, ganz toll! Ich werde jetzt 42, aber ich hebe sie immer noch auf, diese Ostereier. Meine Eltern sind beide schon tot. Ich hatte sehr alte Eltern und habe insofern auch nochmal ganz andere Dinge mitbekommen.
Meine Mutter war Jahrgang ’29. Sie haben mich sehr gefördert. Ich komme aus Ostfriesland, ging in Bremen auf die großartige Fachoberschule für Gestaltung und habe da Abitur gemacht. Die Schule war super. 1990 bin ich nach Berlin gegangen und lebte mit einigen Freunden in einer Ateliergemeinschaft. Ich habe damals schon Papier und Stoff mit Wachs, mit Farben, Acrylbeimischungen auf eine Weise bearbeitet, daß es aussah wie Haut. Und ich habe auch damals schon versucht, darin Bilder anzudrucken, also quasi diese ›Häute‹ zu tätowieren. Das war der eine Weg hierher. Der andere hat sich dadurch eröffnet, daß ich einen Tätowierer kennenlernte in der Aktzeichenklasse der Volkshochschule. Mit dem habe ich ein Abkommen getroffen: Er bringt mir das Tätowieren, ich bringe ihm das Zeichnen bei. Und eines Tages habe ich mich mit diesem Tätowierfreund auf sein Zimmer begeben, wir haben das Gerät zusammengesetzt, und dann sollte ich ihm einen kleinen Schriftzug tätowieren. Also der erste Stich war HAHHH ! …«
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VOM MUSKELKOSTÜM
BODYBUILDERIN
Ingrid Distler, Weltmeisterin im Bodybuilding, 1967 Einschulung in die Volksschule Herzoghöhe, Bayreuth. 1977 Beendigung der Schule mit d. Mittleren Reife. Friseurlehre, Hauswirtschaftsschule mit Schwerpunkt Kochen, Ernährungslehre (Abschlußnote »Sehr gut«). Sie arbeitete u. a. als Reitlehrerin; Turnierreiterin; im Bereich Textildesign; als Model f. Sportbekleidung u. Dessous; in der Fitneßbranche und als Profibodybuilderin u. Trainerin. Ingrid Distler begann als Achtjährige mit d. Leistungssport und erhielt Urkunden als Bayrische Jugendmeisterin i. Rückenschwimmen; Bayrische u. Deutsche Jugendmeisterin im Vielseitigkeitsreiten, A u. L Springreiten, A u. L Dressurreiten; Bayrische und Deutsche Jugendmeisterin im 50- u. 100-Meter-Lauf, im Weitsprung, in d. 800-m-Staffel u. im Kugelstoßen; Sie begann 1987 mit dem Kraftsport Bodybuilding u. erreichte bei ihrem 1. Wettkampf 1990 sofort d. 1. Platz, wurde Fränkische Meisterin und gewann danach zahlreiche nationale u. internationale Wettkämpfe, wurde u. a. 1993 in Bayreuth Internationale Deutsche Meisterin u. Gesamtsiegerin aller Gewichtsklassen; 1997 in England Miss Universe, und im Jahr 2000 wurde sie Siegerin d. World Championship und war nun Bodybuilding-Weltmeisterin im Schwergewicht. Ingrid Distler wurde 1961 in Bayreuth geboren, ihr Vater war Kfz-Mechaniker, ihre Mutter Steuerfachfrau. Sie ist verheiratet u. kinderlos, ihr Ehemann ist ebenfalls Bodybuilder.
Frau Distler lebt im Fichtelgebirge, in einem kleinen Kurort nahe Bayreuth. Die Begrüßung ist von bayrischer Herzlichkeit. Alles an ihr ist herb und Muskulatur, ihre Stimme ist tief, ihr Händedruck fest und trocken. Sie führt uns ins Haus, in dem sie und ihr Mann zur Miete wohnen, und bittet uns, im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Der Raum ist weiß tapeziert und wird dominiert von einem großen grünen Kachelofen. Es gibt zwei wandhohe Spiegel, eine Bronzeskulptur, die eine Athletin mit Hanteln übend darstellt, sowie kleine und großen Kakteen in originellen Töpfen. »Ich züchte Kakteen«, erklärt unsere Gastgeberin, »das ist eine Leidenschaft, und ich sammle auch gern schöne Steine. Den da«, sie zeigt auf einen glänzenden braunen, der zwischen anderen Steinen auf dem Tisch liegt, »den hab ich gestern geschenkt bekommen.« Beim Einschenken des Kaffees spielen die Muskeln unter der zarten Haut ihres Unterarms.
»Es war eigentlich so, ich war früher zu dünn, hab’ keine Hüften gehabt, nix, und ganz dünne Oberschenkel. Obwohl ich Leistungssportlerin war, hab’ ich einfach nix hingekriegt und durchs Schwimmen nur den Oberkörper. Das hat mir nicht gefallen. Deshalb hab ich damals das Training angefangen in einer Muckibude. Heute habe ich Hüftumfang 85, Taille 60, Oberkörper 106, Waden 40 und Bizeps
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