Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Gewalt, und da gibt es das Kuratorium für deutsche Altershilfe, die haben einen Standard entwickelt und sind sehr bemüht darum, daß alle Pflegeheime nach diesem Standard Dekubitusbehandlung machen. Und – Moment, ich schau mal nach – es gibt auch eine sehr interessante, städtevergleichende Sache, bei der Berlin am allerschlechtesten abschneidet. So! Also 1999 hat ein Hamburger Gerichtsmediziner, Prof. Püschel, die Öffentlichkeit auf einen verborgenen Skandal aufmerksam gemacht. Zu den Aufgaben der Gerichtsmedizin gehört ja auch, die Leichen in den Krematorien vor der Verbrennung noch einmal zu begutachten, weil ja sonst Spuren eines eventuellen Verbrechens endgültig zerstört wären. Bei den Untersuchungen von 10000 Verstorbenen aus der Hansestadt hat er in circa elf Prozent der Fälle Druckgeschwüre durch Wundliegen festgestellt, zwei Prozent davon waren schwere, großflächige Geschwüre. Mehr als die Hälfte der Verstorbenen mit schweren Dekubiti hatten zuletzt in Pflegeheimen gelebt. Damals ging ein Sturm der Entrüstung durch die Medien, ›Exitus durch Vernachlässigung‹ titelte der Spiegel usw. Einige Zeit später machte der Gerichtsmediziner Dr. Eidam aus Hannover seine Untersuchungsergebnisse bekannt: Von 12218 untersuchten Leichen wiesen 14,4 Prozent Druckgeschwüre auf! Und dieser Gerichtsmediziner sagte, ich lese mal vor: ›Von den Dekubitalgeschwüren, die ich im Krematorium sehe, sind einige behandelt worden. Bei vielen fällt jedoch die Haut in schwarzgrauen Fetzen ab. Da ist nichts unternommen worden, denn sonst hätten keine zum Teil pizzatellergroßen Zonen entstehen können, in denen man in der Mitte durch alle Gewebeschichten bis in den Knochen sehen kann. Und eine in der Öffentlichkeit ziemlich unbekannt gebliebene Untersuchung aus Berlin aus dem Jahr 2000, veröffentlicht in der Zeitschrift der Berliner Ärztekammer, kommt zu einem noch erschreckenderen Ergebnis. Da kam man bei den untersuchten Leichen in dieser Stadt auf eine Dekubitusrate von 16,2 Prozent. Und das ist natürlich katastrophal, und es zeigt, daß sehr viel mehr und sehr viel genauer hingeschaut werden muß bei denen, die sich nicht mehr selbst entrüsten können. Wie wichtig es ist, daß die Angehörigen eine Anlaufstelle haben wie unsere, denn Beschwerden beim Pflegepersonal und bei der Heimleitung sind ja meist unergiebig, denen ist ja bekannt, wenn es Dekubitusfälle auf den Stationen gibt.
Deshalb muß man eben schon frühzeitig eingreifen. Einen Fall hatten wir, da hat sich über längere Zeit eine Pflegekraft, eine Nachtwache, sehr beschwert, weil sie im Nachtdienst permanent unterbesetzt wurden, und das bei schwer pflegebedürftigen Bewohnern. Es war nicht möglich, die Leute gegen das Wundliegen alle zwei Stunden zu drehen, weil keiner da war. Da gab’s dann auf unsere Initiative hin eine nächtliche Begehung durch den Medizinischen Dienst, und danach sind Tränen geflossen im Heim. Aber so erfolgreich sind wir nicht jedesmal. Im Grunde, sage ich immer, müßte man das alles anders organisieren, mit Kindern, mit Nachbarn, mit Freunden, so daß es für alle einfacher und angenehmer ist.«
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RESTRISIKO
BÄUERIN
»Hohe Energiequanten deformieren die sozialen Beziehungen ebenso unvermeidlich, wie sie das physische Milieu zerstören.«
Ivan Illich
Monika Tietke, Biobäuerin i. Landkreis Lüchow/Dannenberg, aktives Mitglied d. »Bäuerlichen Notgemeinschaft gegen Atomanlagen«. Einschulung 1959 i. Weetzen/Hannover. 1964–1969 Realschule u. Abschluß i. Ronnenberg/Hannover. 1969–1972 Ausbildung z. Damenschneiderin i. Modeatelier Whitman i. Hannover, Gesellenprüfung. 1972–1975 Besuch d. Hedwig-Heyl-Fachgymnasiums, Fachabitur. 1975–1976 Studium a. d. Pädagogischen Hochschule Kiel i. d. Fächern Mathematik u. Deutsch, 1976–1980 Studium a. d. Pädagogischen Hochschule und a. d. Freien Universität Berlin, daneben Teilnahme a. Widerstand gegen die geplanten Atomanlagen i. Gorleben, 1979 Teilnahme a. »Gorleben Treck« nach Hannover, zur bis dahin größten Anti-AKW-Demonstration. 1980 Umzug ins Wendland auf d. landwirtschaftlichen Betrieb ihres Mannes. Seither ununterbrochen aktiv im Gorleben-Widerstand, Mitglied d. Bäuerlichen Notgemeinschaft seit 1981. Umstellung d. Betriebes auf ökologischen Anbau. Mitglied bei »Bioland«. 1989 Eröffnung e. Naturkostladens i. Gartow. Monika Tietke wurde 1953 i. Hannover geboren, der Vater ist Schlosser, die Mutter Hausfrau, sie ist seit 1982
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