Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
schätzungsweise 90 bis 95 Prozent in der CDU. Wer hier in der SPD war, der hat das geheimgehalten. Die Grünen waren ja noch kein Thema, die haben sich ja erst 1980 gegründet, aber die haben uns auch nichts gebracht, außer Enttäuschungen! Also, daß so viele der ›Bäuerlichen Notgemeinschaft‹ beigetreten sind, das war auch sehr der Undine von Blottnitz zu verdanken; sie war Gründungsmitglied, hat dann später auch längere Zeit für die Grünen im Europa-Parlament gesessen. Sie ist mein großes Vorbild, leider ist sie gestorben. Sie ist die tollste Frau, die ich kennengelernt habe – und diese Frau haben die Grünen auf dem Gewissen. Ein paar Tage vor ihrem Tod sagte sie noch: Herr Trittin hat die gesellschaftlichen Werte, für die wir gemeinsam mit ihm gekämpft haben, schmählich verraten. Aber das gehört nicht hierher, denke ich.
Jedenfalls hat sie den ganzen Papierkram für die ›Notgemeinschaft‹ über viele Jahre gemacht, den hat sie vor ihrem Tod mir anvertraut und gesagt, ich muß das jetzt machen und mich darum kümmern, das mußte ich ihr versprechen. Und ich tue es in ihrem Sinne. Das schönste Kompliment ist, wenn jemand sagt, ich wäre ja noch schlimmer als Undine. Sie sehen, die ›Notgemeinschaft‹ lebt. In ruhigen Zeiten sind es so um die vierzig Bauern und Bäuerinnen, die sich sporadisch treffen, und zur Zeit der Castor-Transporte, da kommen dann Hunderte zu den Treffen, auch aus Lüneburg. Und da gibt’s eben diese wunderbare Solidarität. Auch von außerhalb, z. B. durch die ›Solidar-Aktie‹. Aus diesem Solidarfonds können wir die Schäden bezahlen, die uns die Polizei regelmäßig und absichtlich zufügt, indem sie am Trecker die Scheiben einschlagen oder die Reifen zerstechen, da sind regelrechte Messerstecher-Einheiten am Werk, und so ein Treckerreifen kostet schon so um die 500 Euro.«
Sie schenkt uns Kaffee nach und fährt fort: »Also, für die bäuerlichen Betriebe ist jeder Einsatz mit ihren Traktoren bei den Widerstandsaktionen ein Risiko, das sogar empfindlich an die Existenz gehen kann, das ist ja unser Arbeitsgerät. Und so ein Traktor der Mittelklasse, der kostet mehr als ein Luxusauto, der kostet leicht 60000 Euro. Aber unsere Existenz ist noch mehr gefährdet durch das, was hier praktiziert wird. Denn wer will Nahrungsmittel kaufen aus einer radioaktiv belasteten Region, wenn mal was passiert?! Wir leben hier von der Landwirtschaft. Aber wir schaun nicht nur auf uns! Wir wissen sehr genau, daß das kein Problem nur von Lüchow-Dannenberg ist, sondern ein ungelöstes und womöglich unlösbares Problem weltweit, mit dem die Atomindustrie und die Politiker vollkommen verantwortungslos umgehen. Es gibt bis heute kein Gesetz zur Endlagerung; wenn man sich das überlegt, daß die Politiker das über viele Jahrzenhte schon verschleppen, dann macht das auch noch mal diese Verantwortungslosigkeit sehr deutlich. Ich habe das mal direkt erlebt, das war so 1982 rum; die Bürgerinitiative hatte von Plänen erfahren, die WAA nun in Dragahn, statt in Gorleben zu bauen – das ist etwa vierzig Kilometer von hier weg. Und da gab’s eine Rieseninformationsveranstaltung, bei der auch der Herr Andreas von Bülow war, damals noch in seiner Eigenschaft als Bundesminister für Forschung und Technologie. (Das ehemalige Ministerium für Atomfragen, vom Atomminister Franz Josef Strauß. Anm. G. G.) Und dieser Herr von Bülow hat vor 1000 Leuten auf die Frage, wie er denn damit umgeht, wenn hier mal in fünfzehn oder zwanzig Jahren tatsächlich was passiert mit dieser Anlage, Folgendes gesagt: ›Ja wieso, da ist meine Amtszeit doch längst zu Ende, da übernehme ich doch keine Verantwortung mehr!‹
Damals wußte man schon von den Störfällen in den WAAs in La Hague und besonders in ›Windscale ‹ in England, das man deshalb dann ja auch in ›Sellafield ‹ umbenannte, um das vergessen zu machen. Eine WAA gibt das Tausendfache von dem ab, was ein AKW bereits im Normalbetrieb an Radioaktivität an die Umwelt abgibt – aber das stört einen Bundesforschungsminister ja nicht. Man hätte ihn windelweich prügeln müssen, aber Gewalt lehnen wir ja ab. So gab es nur ein langes Pfeifkonzert. Der nächste WAA-Standort, nachdem er in Dragahn auch nicht durchsetzbar war, war ja dann Wackersdorf … Aber auch dort war’s politisch nicht durchsetzbar!
Ein anderes Beispiel ist Morsleben. Bei Helmstedt liegt das. Es war das ›zentrale DDR-Endlager für radioaktive Abfälle‹,
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