Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
verheiratet mit d. Bioland-Bauern Eckhard Tietke u. hat zwei Kinder.
Seit 1953 zum ersten Mal Atomenergie in elektrischen Strom umgewandelt wurde und der amerikanische Präsident Eisenhower das Programm »Atome für den Frieden« verkündete, verursacht diese als Segen für die Menschheit gefeierte Energiegewinnungsmethode eine Vielzahl von Störfällen und Unfällen aller Schweregrade, bis hin zum Super-Gau im April 1986 in Tschernobyl. Über die Zahl der Krankheitsfälle und Todesopfer, die billigend in Kauf genommen werden, streiten sich die Statistiker, während die Betroffenen elend zugrunde gehen. Die »friedliche Anwendung der Atomenergie« hatte von Anfang an die Rolle einer ehrenwerten Anstandsdame zu spielen, während im Hintergrund das unfriedliche Geschäft weiterbetrieben wurde und immense Summen in die Erforschung, Testung und Entwicklung immer neuer Waffen und Waffensysteme investiert wurden.
Die Anti-Atom-Bewegung – der älteste politische Widerstand in der BRD – hat erst in den 70er Jahren, als die Atomkraftwerke in großem Maßstab konzipiert und gebaut wurden, so richtig realisiert, daß es sich hier um ein und dasselbe Problem handelt. Unter den Marschierern »gegen den Atomtod« (von SPD und Gewerkschaften 1958 organisiert) und den Teilnehmern der Ostermärsche, die in den 60er Jahren gegen eine militärische Nutzung protestierten, herrschte durchaus noch eine positive Einstellung zur »zivilen Nutzung der Kernenergie«. Durch die Großaktionen gegen den Bau des AKW Brokdorf im Herbst 1976, bei denen der Atomstaat zum ersten Mal unverhüllt seine polizeistaatlichen Krallen zeigte, entstanden rasch regionale und überregionale Widerstandsgruppen.
2005 ist Deutschland der viertgrößte Atomstromproduzent der Welt. Whyl, Brokdorf, Kalkar, Wackersdorf, diese und andere Namen scheinen heute beinahe vergessen, nur Gorleben »lebt« noch und verdankt das den seit 1995 stattfindenden Castor-Trasporten. Bereits 1977 regte sich heftiger Widerstand, als der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht bekanntgab, daß in Gorleben ein »Nukleares Entsorgungszentrum« gebaut wird, die weltgrößte Wiederaufarbeitungsanlage, samt Endlager im Salzstock. Die Wahl des Standortes war zugleich eine politische Antwort auf das zentrale DDR-Atommüll-Endlager Morsleben bei Helmstedt. Inzwischen grenzenlos, arbeitet sich bereits die dritte Generation ab im Widerstand gegen die exekutiven und judikativen Einschüchterungs- und Disziplinierungsmaßnahmen durch Politik und Atomindustrie. Teilweise erfolgreich. Verhindert wurde die WAA. Zum Stillstand gebracht wurde das Endlager-Projekt (die Bohrungen ruhen seit 2000), aber die rot-grüne Regierung hat keinen Riegel davorgeschoben, so daß alle Optionen offen sind. In Gorleben gibt es heute ein Faßlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle und die Castor-Halle zur sogenannten Zwischenlagerung hochradioaktiver/heißer Abfälle aus den Plutoniumfabriken La Hague/F und Sellafield/GB (die nur in Gorleben gelagert werden dürfen). Und es gibt eine bislang noch ungenutzte sogenannte Pilot-Konditionierungsanlage. Sie ist technisch ausgerüstet zur Umfüllung des hochradioaktiven Inhaltes der Castor-Behälter in Pollux-Behälter für die Endlagerung. Nur, es gibt weltweit noch kein einziges Endlager, obwohl seit vielen Jahrzehnten Atommüll produziert wird.
Das Wendland mit dem ehemaligen Elbfischerdorf Gorleben lag einst als »Armenhaus der Nation« quasi fast in der DDR. Zwei Drittel des Landkreises Lüchow-Dannenberg waren vom Hochsicherheitsgrenzstreifen umgeben. Abseits der Hauptverkehrswege, dünn besiedelt, mit einem großen Salzstock versehen und vorwiegend mit Westwind, galt das Gebiets unter den Interessenten als ausgesprochen »störfallfreundlich«. Der Fall der Grenze hat nicht viel geändert. Sogar die Idylle ist geblieben. Es gibt weite Elbauen und Weiden, überschaubare Felder und Wälder, in denen nicht nur Schnittholz herumsteht, sondern richtig ehrwürdige alte Eichen überleben dürfen. Die Dörfer fallen durch schöne alte Gebäude aus rotem Backstein oder Fachwerk auf und auch durch die aufgenagelten, gelb gestrichenen X-förmigen Latten, das Zeichen des Gorleben-Widerstandes. Auch Monika Tietke lebt in einem solchen großen alten Gehöft, wie man sie hier sieht. Sie scheinen mitten auf dem Gras zu stehen, so nah darf es bis ans Haus heran, es gibt nicht diese Trennung zum Garten hin. Hollunder, alte Bäume, Blumenpracht und Hecken gehen
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