Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Aalwanderung ist das ein großes Problem, trotz Aufstiegshilfen, sie kommen nicht mehr die Flüsse hinauf, so wie früher. Von den Turbinen der Wasserkraftwerke ganz zu schweigen, in denen große Mengen der wandernden Aale zerstückelt werden, also, das haben wir hier alles nicht, zum Glück. Das ist mein Schwerpunkt, ansonsten stehe ich natürlich voll hinter dem Widerstand, habe Demos mitgemacht, Unterschriften wurden gesammelt, Anzeigen gemacht, Brote geschmiert usw., das ist ja klar!«
Wir fragen nach ihrer politischen Orientierung in den 70er Jahren. »Na, konservativ. Ich will mal so sagen: Ich war schon eher auf CDU-Linie. Wegen Gorleben bin ich dann auch ausgetreten aus der Partei, später. Ich weiß noch genau, wie es anfing: Es war am 22. Februar 1977, ein milder Tag, ich habe hier gehackt im Garten, und da hörte ich es mittags. Es kam durchs Radio und Fernsehen, daß hier in Gorleben ein gigantisches Atomzentrum entstehen soll, ein nukleares Entsorgungszentrum, mit WAA und allem, bis hin zum Endlager. Da habe ich meine Hacke hingelegt, und die hat nach vier Wochen immer noch so dagelegen. Es war eine andere Zeit angebrochen! Zunächst ist ja die Gemeinde dagegen gewesen, aber diese Geschichte ist ja auch eine Bestechungsgeschichte; es ging um sehr viel Geld, das man den Kommunen bot. Das Argument hier war, wenn wir’s nicht machen, nimmt es die Nachbargemeinde, und wir haben dann keinerlei Vorteil, aber den gleichen Nachteil. Ich bin ja fünfzehn Jahre ungefähr im Gemeinderat gewesen, kenne das von innen. Dr. Neuschulz, ein Mann aus dem Naturschutz, und ich, wir waren immer die andere Seite. Also bei neun Ratsmitgliedern waren das immer sieben gegen zwei! Das ist natürlich deprimierend, jahrelang solche Abstimmungen zu ertragen. Nach der Abstimmung zur ›Konditionierungsanlage‹, die natürlich pro war, sind Dr. Neuschulz und ich aus Protest rausgegangen aus dem Rat – mein Sohn war damals bei mir Nachrücker, sonst wäre das ja nicht gegangen. Na ja, sie ist selbstverständlich gebaut worden, steht heute da und wird nicht benutzt. Die Auseinandersetzungen haben natürlich das Dorf gespalten, von Anfang an, das ging quer durch die Familien. Bei uns allerdings nicht, wir waren und sind alle dagegen. Aber sonst, ich bin ja seit 35 Jahren Vorsitzende einer Frauengymnastikgruppe, ein kleiner, dörflicher Verein, wir treffen uns jeden Montag von 19 bis 20 Uhr, machen Gymnastik, und danach gehen wir in die Kneipe, essen ein bißchen und klönen. Und das ist ein sehr wichtiger Abend für uns Frauen – die wir übrigens mal den TUS Gorleben, also den Gesamtsportverein, gegründet haben, in dem sich jetzt die Männer breitmachen. Wir haben damals darauf gedrungen, das Politische aus dem Verein rauszuhalten, denn so ein Dorf muß ja auch noch eine Gemeinschaftsbasis haben, bei allen Meinungsverschiedenheiten. Die muß man eben aushalten. So dachten wir.
Bis dann der Vorsitzende der Fußballabteilung – hinter dem Rücken seiner eigene Leute – einen Werbevertrag für Trikotwerbung mit den Atomleuten machte. Pro Atom. Die Hälfte seiner Fußballer ist dann ausgetreten, die gingen in einen Nachbarverein. Der Werbevertrag hat ja Geld eingebracht, und damit hat der Vorsitzende Wittenberger Spieler eingekauft – es war ja alles in der Wendezeit – und damit den Wittenberger Verein auch kaputt gemacht. Denen haben sie auch noch berufliche Möglichkeiten versprochen, die sind dann nachher als Wachmänner hier gelandet. Na, ja. Da laufen die alle heute noch rum, mit der Werbung, ich glaube, es steht TUS Gorleben drauf, in blauer Schrift auf weißem Trikot, und dann das Kürzel BLG, also Brennelemente-Lager-Gesellschaft. Und nun war die Frage, was machen wir? Ich konnte ja erst mal nur für mich sprechen, und ich habe gesagt, ich bin die Vorsitzende vom BUND hier im Landkreis, und ich bin Gegnerin dieser Atompolitik, ich kann und will nicht in einem Verein bleiben, der mit solchen Trikots in Erscheinung tritt! Und ich muß sagen, obwohl das durchaus in unserem Turnverein auch Frauen waren, deren Männer pro sind, haben sich nach der Sitzung 33 Frauen entschieden, mit mir zusammen aus dem TUS Gorleben auszutreten. Das war eine kleine Sensation damals. Wir haben dann den Turnverein Gorleben gegründet, also, das sollte nicht ein Antiatomverein sein, überhaupt nicht, wir waren weiterhin verschiedener Meinung, fertig! Es gibt ihn immer noch, unseren kleinen Turnverein, wir sind noch ungefähr
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