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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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mit Frau Köthke verabredet. »Sie fahren die Hauptstraße bis zum Ende des Dorfes, dann sehen Sie schon auf der rechten Seite unser Schild«, sagte sie am Telefon. Das Schild ist aus Holz und zeigt an, daß hier geräucherte Fische zu bekommen sind. Zu jeder Tageszeit kann man ausgezeichnete geräucherte Aale, Forellen und Saiblinge kaufen, gefangen bzw. veredelt vom Fischereibetrieb Köthke. Das Betriebsgelände wirkt teils gartenartig, mit Rosenhecken und Blumeninseln aus Mohn, Rittersporn, Margeriten, Feuerlilien, teils gewerblich. Aus einem der Fischbecken erhebt sich eine Fontäne und sorgt plätschernd für Sauerstoff im Wasser. Zwischen alten Kiefern liegen verstreut mehrere Wohn- und Betriebsgebäude. Im hinteren Teil des Grundstücks, das direkt an einen kleinen Bootshafen grenzt, wohnt der Sohn mit seiner Familie. Frau Köthke bewohnt ein schlichtes einstöckiges Holzhaus, vorn zur Straße hin gelegen.
    Wir werden freundlich hineingebeten. Im Flur hängen gut gemalte Aquarelle unserer Gastgeberin, Elblandschaften, Fluß- und Uferansichten. Das Wohnzimmer wirkt bürgerlich und friedlich, mit alter Standuhr und zierlichem Kachelofen mit Gußeisenaufsatz. Das Holz eines deckenhohen, mit Intarsien und Messingbeschlägen verzierten Schranks schimmert im Nachmittagslicht. An der Wand hängt ein großes Gemälde, das Bildnis eines streng blickenden älteren Herrn mit Perücke und dunklem militärischen Brustpanzer. Ein kleineres Ölbildchen zeigt einen Lehrer, der drei Knaben unterrichtet, die Kinder der Königin Luise. In einem Weidenkorb neben dem Fernsehgerät liegen mehrere großformatige Bücher, obenauf die neue Ausgabe der »Ansichten der Kordilleren« von Alexander von Humboldt. »Das sind Geburtstagsgeschenke, Bücher, die man nicht im Bett lesen kann«, sagt Frau Köthke, schenkt uns Kaffee ein und beginnt zu erzählen:
    »Ich bin ja jetzt seit sechzig Jahren hier, beinahe. Die Familie meines Mannes, er ist 1987 gestorben, hatte ihren Elbfischereibetrieb von 1822 bis 1845 gleich hier über die Elbe, am Elbdeich drüben. Bis der Grenzzaun kam damals, konnten wir das Haus sehen. Sie haben eines Nachts ein paar Schafe im Kahn angebunden, die Netze mitgenommen und sind hierher über die Elbe. Und diese Möbel, die haben wir später über den Fluß gebracht. In der Nacht, in der die Russen die Bewachung an die Volkspolizei übergeben haben. Das sind Stücke aus der Familie meines Mannes, während die Bilder aus meiner Familie stammen. Geheiratet habe ich dann 1946. Zuerst hatte ich mich in die Elbe verliebt, dann in meinen Mann, sage ich immer. Aber es war natürlich etwas schwierig; wir alle waren Flüchtlinge, man hatte uns hier eingewiesen, hier wohnten meine Schwiegereltern, meine Schwägerin, ein Schwager mit Kindern, irgendwann kamen auch noch meine Geschwister vorübergehend. Das hat sich alles hier abgespielt. Das war ja ein Reichsarbeitsdienstlager, das ganze Gelände, und dieses Haus hier war die Führerwohnung. Es war ›Reichseigentum‹ noch, nachher hatten wir die Möglichkeit, es zu kaufen. Nach und nach kauften wir auch das Grundstück Es besteht eigentlich nur aus Flugsand, es ist eine Sanddüne. Und dann hat sich eben alles so ergeben, der gemeinsame Aufbau, und wir hatte ja einen enormen Vorteil dadurch, daß die Köthkes schon über 100 Jahre Pächter mehrerer Gewässer bei den Grafen von Bernstorff sind. Also die Fischereirechte auf dieser Seite hatten sie auch vorher schon, so hatten wir eine Existenzgrundlage. Und der gemeinsame Aufbau, der war zwar schwer, aber schön. Mein Mann war technisch sehr begabt. Er hat mit achtzehn schon eine Fangtechnik patentiert bekommen, die heute noch auf allen großen Flüssen verwendet wird, das nennt sich ›Köthkescher Scherbrettrahmen‹, und diese Vorrichtung erleichtert den Aalfang. Der Aal war sozusagen die Spezialität meines Mannes. Aal war das Wichtigste, der ging nach Hamburg in die Räuchereien. Oder auch nach Steinhude, die kauften sehr viel Aal bei uns. Heute könnte man, wenn man nicht selber veredelt und verkauft, gar nicht mehr davon leben. Damals schon. Über Nacht wurden die Netze gestellt und morgens wurde der Fang rausgenommen und alles an Land gebracht. Ich war eben hauptsächlich mit draußen und habe in der Fischerei mitgearbeitet, habe eigentlich alles gemacht: Netz rausziehen, töten natürlich, schlachten und ausnehmen. Aber das war später, anfangs wurden die Aale ja lebend im Wasser weitertransportiert, die anderen

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