Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Freundschaftsdienst sozusagen, die Kosten für eine Enthauptung übernommen, damit man die Rechnung nicht den Eltern des Enthaupteten zustellt.« Wir fragen, ob es sich beim Enthaupteten um Katte handelte? »Ja, ja. General von Winterfeld hat die Enthauptungs- und Beisetzungskosten für Katte beglichen, um den Eltern wenigstens diese Schmach zu ersparen. Aber ich möchte eigentlich das Familiäre nicht so unbedingt hervorheben, meine Familiengeschichte ist doch gar nicht so interessant, viel interessanter ist die Biographie der Aale.« (Die Familiengeschichte der »edlen Gänse«, eines der ältesten u. bedeutendsten Adelsgeschlechter seit d. 12. Jh. i. d. Prignitz, ist natürlich kulturhistorisch sehr interessant, Anm. G. G.)
»Kennen Sie die Geschichte der Aale, nein? Man muß die Biographie der Aale kennen! Sie ist etwas Großartiges, Geheimnisvolles:
Also, alle Aale, die es hier in Europa gibt, in unseren Flüssen, Bächen, die sind im Golf von Mexiko geboren, in der sogenannten Sargassosee. Sie wandern dann drei Jahre lang als Aal-Larven mit dem Golfstrom fast 6000 Kilometer über den Atlantik. Sie sind ganz durchsichtig, also ihrem Element angepaßt. Wenn sie dann an die europäischen Küsten gelangen, sind sie etwa sieben Zentimeter lang und haben sich zum Glasaal entwickelt. Die Franzosen fangen die ja leider, das ist jetzt der große Streit, der Fischereistreit in der EU. Die Franzosen sagen, wir sollen keine großen Aale fangen, damit es wieder kleine gibt, und wir sagen, die Franzosen sollen nicht so viele kleine fangen, damit es wieder mehr große gibt. Mein Sohn ist da sehr engagiert und in Verhandlungen immerzu.« (Frankreich fängt z. B. allein an der Mündung der Loire mehr als 100 Tausend Tonnen Glasaale mit Schleppnetzen, der größte Teil davon ist bereits von Japan und China geordert als Besatzfisch für die dortigen Aalfarmen, der Bedarf in Asien ist so groß, daß zwischen 300 bis 600 Euro pro Kilogramm lebendem Glasaal bezahlt werden, Anm. G. G.)
»Sie halten sich ein bißchen an den Küsten auf, und dann pigmentiert sich der Bauch und paßt sich dem Untergrund an. Sie sind noch Zwitterwesen, im Wartezustand bis zu einer Größe von 25 Zentimeter, dann wandern die Weibchen, und nur die Weibchen – die Männchen bleiben in den Küstengewässern zurück – die Flüsse hinauf und verteilen sich in Nebenflüsse und Bäche, bis in die letzten Gräben. Da halten sie sich etwa zwölf bis fünfzehn Jahre auf. Also, mein Mann erzählt, wenn er, so wie jetzt im Frühsommer, am Bunenkopf saß, war es oft so, dann konnte er manchmal ein schwarzes Band sehen, einen Meter breit; es bewegte sich dahin, und das waren alles kleine Aale. Das war früher. Ja, und da setzen sie dann Fett an und werden geschlechtsreif – weibliche Aale können bis zu 150 Zentimeter lang und sechs Kilo schwer werden –, dann wird der Bauch silbriggrau. Und sie müssen nun aus all den Gräben, Flüssen, Bächen wieder Richtung Meer wandern. Das ist der qualitativ beste Aal und der wird natürlich gern gefangen. An der Küste warten bereits die Männchen auf die Weibchen – die Männchen erreichen übrigens nur eine Länge von maximal 60 Zentimetern und werden deshalb als sogenannte Bundaale verkauft. Und gemeinsam mit den Weibchen treten sie dann die lange Rückreise über den Atlantik zum Sargassomeer an. Sie fressen nicht, ihre Augen haben sich vergrößert, ihr Verdauungstrakt und Magen bilden sich zurück, verkümmern. Sie leben nur noch von den Fettreserven. Man hat übrigens noch nie laichreife Aale gesehen, kein Tier hatte Rogen oder Milch im Bauch. Das Ganze ist noch von einem Geheimnis umgeben. Man sagt, daß sie im Sargassomeer laichen, das warm und tief ist. Es hat seinen Namen wegen der großen, obenauf schwimmenden Teppiche aus Beerentang, dem Sargassum, erhalten. Angeblich laichen sie also dort in tausend Meter Tiefe und sterben dann. Warum sie überhaupt hierherkommen, ist ein Geheimnis. Es gibt so eine Atlantistheorie dazu, manche gehen auch davon aus, daß durch die Kontinentalverschiebung vielleicht der Weg auch so weit geworden ist, man weiß es einfach nicht. Mein Mann hat sich immer sehr für die Aale interessiert. Natürlich auch beruflich, Räucheraal ist gefragt, und er schmeckt sehr gut. Manche haben aber Bedenken. Günter Grass hat ja gesagt, sie fressen Leichen. Er hat uns damals das Geschäft verdorben. Aber der Aal ist ja ein Raubfisch, der frißt mitten im Wasser.
Na ja,
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