Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
Proben entnommen vom Knochen, es wurde alles nach Den Haag geschickt zur DNA-Untersuchung. Also, das war eine Erfahrung, die sich schon sehr unterschieden hat vom normalen pathologischen Arbeitsalltag.
Ich weiß auch nicht, was das ist, schon als Kind habe ich das gespürt, diese Faszination. Ich interessierte mich plötzlich nicht nur für lebendige Tiere, sondern auch sehr für tote. Das sind die Gene, also, mein Vater hat mich sehr geprägt. Der ist in Sibirien geboren und aufgewachsen, sehr ärmlich, sehr naturverbunden. Da mußte man natürlich auch jagen und schlachten. Das hat er an mich weitergegeben, dieses Verhältnis zur Natur. Meine Eltern waren geschieden. Ich bin bei meiner Mutter in Potsdam groß geworden. Mein Vater war in Berlin, und in den Ferien war ich bei ihm. Wir sind viel mit dem Schlauchboot unterwegs gewesen und haben uns ausschließlich von dem ernährt, was die Natur hergab, Beeren, Früchte, Fische, Krebse, Frösche. Mein Vater hat mir alles gezeigt, ich hatte aber eine Scheu davor, ein Tier zu töten. Fand es aber wahnsinnig spannend, alles. Und dieses brennende Interesse hat mich eigentlich nie verlassen später. Das ging richtig tief. Bei meiner ersten Ausbildung, da sollte es einen Besuch geben in der Anatomie. Ich war Feuer und Flamme! Wir waren 40 Leute, aber es gab nur zwanzig weiße Kittel, und nur wer einen Kittel hatte, durfte hinein. Ich hatte keinen abbekommen und habe furchtbar geweint. So sehr, daß welche ankamen und sagten, willst du meinen? Hier nimm. In der Anatomie dann sahen wir eine fixierte Leiche, formalinfixiert, grau, wie aus Plaste, gummiartig. Die hatte für mich überhaupt keine menschlichen Züge mehr. Ich war eigentlich fast enttäuscht. Da hat der Anatom gefragt, ob denn jemand mal das Herz halten möchte. Alle drehten sich weg und riefen ›uargg‹ und ›ihhh‹. Ich rief Jaaaa! Und dann bin ich vorgetreten, ich mußte Handschuhe anziehen, dann habe ich das Herz gehalten, ganz vorsichtig, ganz andächtig, ich weiß nicht, was ich alles fühlte. Solche Momente hat man nur zum Anfang in dieser Intensität. Ganz selten später. Es wird dann alles so normal irgendwie, man fühlt nichts mehr, fast schade eigentlich. Aber ich erinnere mich ganz genau, wie es war. So ein Herz, das wiegt etwa 300 Gramm, ja. Das war der Kurs in meiner ersten Ausbildung, sozusagen ein Besuch dieser berühmten Meckel-Sammlung in Halle.«
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Einige Tage später stieß ich beim Recherchieren zufällig auf folgende kleine Geschichte, die nicht unterschlagen werden soll: Philipp Friedrich Theodor Meckel (1755–1803) war einer der ganz wenigen Anatomen, die vor dem eigenen Körper nicht haltmachten und auch sich selbst der Anatomie zur Verfügung gestellt haben. Er sezierte und skelettierte seine eigenen drei früh verstorbenen Kinder. Ein überlebender Sohn wurde ebenfalls Anatom, und der sezierte und skelettierte die väterliche Leiche und stellte sie, wie testamentarisch verfügt, in die Meckelsche Sammlung, die bereits der Großvater, Friedrich Meckel d. Ä., angelegt hatte. 1836 verkaufte die Witwe diese Privatsammlung dreier Anatome an die Universität Halle. Die erwarb damit die größte Privatsammlung Europas. Und noch heute steht das Skelett Meckels in der Sammlung des anatomischen Institutes der Medizinischen Fakultät Halle, nebst den Schädeln seines Sohnes und zweier Enkel. Im November 2002 initiierte das Institut ein absonderliches Familientreffen: Es lud die Nachfahren Meckels ein. Vor dem berühmten Schrank mit seinem Skelett gruppierten sich die Nachfahren, Männer, Frauen und Kinder, zu einem abschließenden Familienfoto.
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DIE TOTENMASKE DER KRANKHEIT
KAPAZITÄT DER MOULAGENKUNST
Elfriede Walther geb. Hecker, Mouleurin, ehemalige Leiterin d. Moulagenwerkstatt am Deutschen Hygiene-Museum, Dresden. 1926 Einschulung in Dresden, Altstädter Höhere Mädchenschule, 1939 Abitur. Hochschule für Lehrerbildung Leipzig u. Dresden, Ablegung d. 1. und 2. Lehrerprüfung. 1941 Einsatz als Lehrerin an Volksschulen in Ostpreußen, Kreis Goldap, bis Ende 1944. Rückkehr nach Dresden. Nach Kriegsende im Rahmen der Entnazifizierung Berufsverbot als Lehrerin. 1946 Anstellung im Zeichensaal d. Hygiene-Museums; Ausbildung als Mouleurin durch die Leiterin d. Moulagenwerkstatt, Ella Lippmann. Ab 1956 Leitung d. Moulagenwerkstatt. 1978 Überreichung d. Hufeland Medaille (Medizinpreis d. DDR f. bedeutende Dieste um den Gesundheitsschutz). Veröffentlichungen z. Thema
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