Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
usw., je auf Nachfrage. Der ökonomische Nutzen hat eben die Auswahl und damit die Arbeitsorganisation bestimmt, man brauchte Devisen.
Sie haben bemerkt, ich unterscheide jetzt zwischen Wachsmodell und Moulage. Der Unterschied ist der: Ein Wachsmodell ist ein überarbeitetes Lehrmodell, eine Vergrößerung oder Verkleinerung usw., während eine Moulage auf einer Patientenabformung beruht und die Krankheitserscheinung absolut wirklichkeitsgetreu wiedergibt. Der Moulagen-Verkaufskatalog des DHM enthielt immer nur ein begrenztes Angebot. An erster Stelle stand natürlich die Konfektionierung der Wachsmodelle. Mir lag aber sehr daran, eine Moulagensammlung aufzubauen und unseren Bestand an Originalabformungen zu vergrößern. Ich war ja dann auch technisch soweit; Frau Lippmann zog sich nach und nach zurück, es war also an der Zeit, daß ich mich auch mit der Patientenabformung beschäftigte, denn nur die Orientierung am Lebenden und wissenschaftlich Richtigen führt zu einer guten Moulagenarbeit.« Frau Walther steht geschmeidig auf – sie ist 86 (!) – und bringt uns eine wächserne Hand, die auf einer schwarzen Unterlage ruht, wie gerade frisch abgeschnitten. »Damit Sie mal zunächst sehen, wovon ich spreche, wenn ich von einer guten Moulage rede.« Die Hand liegt neben den Keksen, und wir betrachten sie andächtig, während Frau Walther die Details erklärt. Die Hand sieht aus wie in Auflösung begriffen, eine kräftige Männerhand mit rötlich entzündeten Fingergliedern und gelblich-weißen, verhornten Nägeln, die teils in der Mitte gebrochen sind, sich schollenartig abheben und schwärzlich blutunterlaufene Stellen haben. Die Haut ist übersät mit eitrigen, teils aufgeplatzten Blasen und Schrunden. »Das ist die Hand eines Röntgenarztes, es dauerte ihm immer zu lang mit den Patienten, da hat er dazwischengegriffen und einen chronischen Strahlenschaden erlitten; beide Hände waren betroffen. Fünfzig Jahre ist sie alt! Im Museum ist die rechte, dies hier ist die linke. Die habe ich beide abgeformt und diese als Anschauungsmaterial behalten.« Sie zeigt uns noch eine weitere, etwas größere, unbemalte Männerhand. Das Wachs ist milchig weiß, zeigt kleinste Hautfältchen und Poren. Es ist die Hand ihres Mannes. »An diesen Beispielen sehen sie alles, wovon wir gesprochen haben.«
Wir fragen, ob Moulagen eigentlich signiert werden. »Ja, das war schon üblich, aber in der DDR war das nicht mehr erwünscht. Leider! Auch aus diesem Grund habe ich eine umfangreiche systematische Kartei angelegt, in der jede Moulage über ihre Nummer mit allen Angaben verzeichnet ist. Bei meinem Weggang habe ich ein lückenloses Bestandverzeichnis hinterlassen. Trotzdem bleiben Namen bis heute ungenannt. Es ist 1995 ein an sich sehr schönes und ausführliches Buch über Moulagen erschienen. Von Prof. Thomas Schnalke 4 . Leider wurde nicht sehr genau recherchiert.« Sie holt das Buch und blättert. »Sehn sie, da steht immer nur ›Dresden, no date available‹. Also, wenn man so ein Buch macht, dann sollte man dazu auch in einer Kartei nachgucken, wenn es schon eine gibt. Bei meiner Kollegin aus der Schweiz, Frau Stoiber, steht jedesmal der Name, bei mir steht er bei keiner einzigen Abbildung. Das ist auch deshalb ärgerlich, weil das Arbeiten unter DDR-Verhältnissen ja wesentlich schwieriger war. Trotzdem konnte ich viele neue Dinge der Sammlung hinzufügen. Meine ersten Moulagen habe ich im Krankenhaus Dresden/Friedrichstadt abgeformt, beim Chefarzt der Hautklinik, Dr. Hering. 1951.« Sie holt ein handschriftliches Verzeichnis. »Also, hier z. B., am 23. August, ›Ulcus cruris bei Diabetes‹, da habe ich also ein Unterschenkelgeschwür abgeformt bei einer 69jährigen Frau. Der Arzt hat mit ihr gesprochen und mich dann meinem Schicksal überlassen. Mein Material zum Abformen hatte ich mitgebracht, Alabaster-Modellgips, VEB Thüringer Gipswerke Krölpa, einen Gummibecher zum Anrühren des Gipses in Wasser und eine geölte Glasplatte, die ich unterlege. Dann erkläre ich der Patientin, was ich nun mache, denn die Leute wissen ja meist gar nichts Genaueres. Dann gieße ich die erste Schicht Gips ganz dünn auf – das bringt dann später eine feine Zeichnung aller Details –, während es etwas anzieht, überlege ich mir, wo ich die Trennungslinien anlege, damit ich später die Form gut abkriege. Dann kommt auf diese erste, etwa zwei bis drei Millimeter dicke Schicht eine zweite, etwa eineinhalb Zentimeter dicke
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