Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
standen hinter uns, der eine war ein bißchen forsch, weil ich zögerlich war. Man tastet sich ja ran, befürchtet, irgendwas zu zerstören. Der packte dann immer meine Hand und sagte«, sie spricht mit tiefer Stimme, »›so mußt du es machen, mit Druck!‹ Also, Haut ist schon sehr widerstandsfähig. Man muß ganz schön kräftig einschneiden. Es gibt natürlich verschiedene Hauttypen. Dünne Haut, alte Haut. Na ja, ich habe alles gut gemeistert. Aber eigentlich wollten sie mich nicht nehmen, weil ich eine Frau bin. Das war damals nur ein wilder Männerhaufen. Man hatte Sorge, weil es natürlich auch eine körperlich schwere Arbeit ist. Man muß die Leichen hin und her bewegen auf dem Tisch, vielleicht auch Treppen rauf- und runtertragen. Dann hat sich aber der Oberarzt für mich stark gemacht, und das war mein Glück. Ich konnte arbeiten als Präparatorin.
Also, es ist immer üblich, daß ein Pathologe und ein Präparator zusammenarbeiten, Hand in Hand. Und glücklicherweise ist es so, daß man uns dann doch ein bißchen mehr Arbeit überläßt, als nur den Kopf aufzusägen und den Leichnam zu schließen. D. h., wir entnehmen Organe, und der Pathologe eröffnet und diagnostiziert sie. Heute arbeite ich nur noch als Museumskonservatorin und Präparatorin, also, ich fertige Präparate schon auch noch an, neben dem Restaurieren. Ab und zu seziere ich auch noch, sozusagen als Nebenjob auf zweite Steuerkarte. Ich fahre mit meinem ehemaligen Chef zusammen in irgendein Krankenhaus, wenn die jemanden zum Sezieren haben. So bleibe ich handwerklich in Schuß.« Wir fragen, wie es wäre, wenn sie jemanden sezieren müßte, den sie gut kennt. »Das würde ich, glaube ich, nicht machen. Weil, man muß ja auch mal ehrlich sein, das ist sicherlich kein Anblick, den man von seinen Liebsten als letzten Anblick haben möchte. Da ist die Hemmschwelle für mich zu groß. Ich habe natürlich schon Leute aus dem öffentlichen Leben, die man kennt, seziert, aber das ist ja was anderes.« Wir fragen nach ihrem Verhältnis zum Tod. »Ja, das ist schwierig zu sagen. Weil der ja in meinem Beruf allgegenwärtig ist, da geht der Gedanke daran oft völlig verloren. Man bekommt andererseits im Lauf der Jahre viel mit, wie Leute zu Tode kommen, wie sie leiden, was für Schmerzen sie ertragen mußten. Das alles will man selber ja nicht haben. Jeder wünscht sich einen friedvollen Tod. Ich weiß, er wird den wenigsten gegeben. Das andere, was oft problematisch ist, ist das Abschiednehmen der Angehörigen, was, wenn man das sieht, doch sehr an die Gefühle geht. Und es zeigt, wie verletzlich man ist. Wir haben einen Besichtigungsraum. Manche haben den Wunsch, ihre Verstorbenen noch mal zu sehen. Und da gibt es dann die unterschiedlichen Arten zu trauern; also, die Türken, Italiener usw., die sind sehr massiv, die weinen laut, die schütteln die Leichen, sie küssen die Leichen. Bei den normalen Deutschen sind die meisten ›stille Weiner‹, fassen die Toten kaum an. Ich erinnere mich an eine Italienerin, sie wollte ihren jungen Mann noch mal sehen. Sie hat drei Tage gebraucht, um Abschied zu nehmen. Erst am dritten Tag war sie so weit. Ich bin immer hingefahren, ich war schwanger, sie war schwanger. Ich hatte noch Dienst, habe aber nicht mehr seziert in der Zeit, als ich schwanger war. Also, da habe ich dann draußen gesessen und hörte sie klagen, und ich dachte, o Gott!
Und wieder eine ganz andere Erfahrung mit dem Tod habe ich damals in Bosnien gemacht; da kam diese unheimliche Gewalt dazu. 2000 und 2001 bin ich über die UNO hingefahren, in die Nähe von Sarajewo. Dort wurden Massengräber ausgehoben. Man hatte plötzlich mit zweihundert Leichen zu tun, die alle erschossen oder durch Handgranaten hingerichtet worden waren. Fast nur Männer, Zivilisten. Kaum Frauen und Kinder. Ein Rechtsmediziner und einer von uns haben die Leichen auseinandergenommen, so weit das möglich war. Die waren oft schon sehr skelettiert. Wir haben sie entkleidet, und da wurden übrigens plötzlich Gallensteine gefunden bei einigen. Die waren schon so zersetzt, daß die Gallensteine quasi aus der Galle rausgefallen sind in die Kleidung. Die Anthropologen und sogar die Rechtsmediziner haben mir erst nicht geglaubt, die dachten, es ist Schmuck. Dann haben sie sich aber überzeugt und gesehen, es sind Gallensteine. Ich war ganz stolz, daß ich es gleich erkannt habe. Ja, und die Kleidung wurde dann gewaschen und getrocknet zum Zweck der Identifikation; es wurden
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