Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
gegenüberliegenden Wand hängen großformatige, detailgenau gemalte Aquarelle von geschützten heimischen Blumen. Gemalt hat sie Herrmann Walther, ehemals Chefgraphiker des Hygiene-Museums. Seine Bilder werden gerade in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden ausgestellt, und Frau Walther hat ihr bei dieser Gelegenheit das Gesamtwerk ihres Mannes als Schenkung überlassen. Sie bietet uns Weihnachtskekse an, schenkt Kaffee ein und erzählt: »Ja, also 1946 habe ich angefangen im Zeichensaal, das Hygiene-Museum brauchte Leute, und die waren da nicht so penibel. Das Museum war ja auch teilzerstört, und alles war noch ziemlich improvisiert. Eine Freundin arbeitete auch dort. Früher wurden ja noch ganze Ausstellungen gezeichnet, gemalt, beschriftet. Es gab eine Ausbildung in Schriftgestaltung, und in der Schriftgraphik wurde auch die Beschriftung für die Moulagen gemacht, jede einzelne mit dem Pinsel! Und eines Tages war die Moulagenabteilung unterbesetzt, und da wurden wir ›ausgeliehen‹. Das hat mir dann erst mal ganz gut gefallen. Frau Lippmann, eine Kolbow-Schülerin, war die Leiterin, und sie brauchte Malerinnen. Das hat sie damals erst mal alleine gemacht, sie mußte ja alles erst wieder aufbauen. 1945 ist durch die Brandbomben viel zerstört worden; das Feuer war durch den Fahrstuhlschacht in den Keller vorgedrungen, und hinterher waren die Schränke voll mit geschmolzenem Wachs, und viele Gipsformen lagen zerbröselt herum. Wie nun daran anknüpfen?! Einige Wachsmodelle und Formen waren noch erhalten geblieben oder konnten restauriert werden. Frau Lippmann hat anfangs bemalt nach dem Atlas der Hautkrankheiten von Dr. Jacobi. Und 1949 holte dann Prof. Linser sie für ein ganzes Jahr an die Universitätsklinik Leipzig. Dabei entstanden 140 Moulagen aus dem breiten Spektrum der Haut- und Geschlechtskrankheiten – das war ja nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eines der Hauptthemen. Und damit war dann auch ein Neubeginn der Moulagenwerkstatt am Deutschen Hygiene-Museum gemacht. Man muß sich klarmachen, das DHM war in der DDR die einzige Stätte, wo Wachsmodelle von Krankheitserscheinungen hergestellt wurden. Außer Frau Lippmann und dem Gipsbildhauer Walter Ulbricht hatte nach 1945 niemand Kenntnisse auf diesem Gebiet. Walter Ulbricht war ein Meister der Formtechnik mein Wissen und Können auf diesem Gebiet verdanke ich ihm. Sein Hauptwerk waren später ja dann die weltbekannt gewordene ›gläserne Kuh‹ und das ›gläserne Pferd‹. Es gab damals noch eine enge Zusammenarbeit zwischen der Gipsbildhauerei und der direkt daneben liegenden Moulagenwerkstatt. Und in dieser Phase kam ich da rein und habe erst mal das Malen auf Wachs gelernt. Und dann nur auf Wachs gemalt nach dem Vorbild, in großen Mengen, denn der Betriebsleitung lag natürlich daran, schnell den Verkauf wieder in Gang zu bringen.
Und weil wir in der Lage waren, Geld reinzubringen, war unsere Abteilung auch diejenige, die als erste wiederhergestellt und ausgestattet wurde. Wir waren im rechten Seitenflügel des DHM, Nordseite, das gab für das Malen der Wachsmodelle ein gleichbleibendes Licht und Klima. Es waren zwei Arbeitsräume, also eine große Werkstatt für Malerei und Retusche, mit langen Arbeitstischen und extra angefertigten Holzschränken zur Aufbewahrung. Und dann gab es die Wachsküche für die Wachsherstellung und das Wachsgießen. Wir hatten drei große, gußeiserne emaillierte Behälter, in denen das Wachs im Wasserbad zum Schmelzen gebracht wurde. Zwischen diesen Räumen war eine Kammer mit einer Pritsche, wo man auch mal abformen konnte, wenn ein Patient kam. Und da wurde nun gearbeitet. Mitte der 50er Jahre waren wir zwölf Beschäftigte. Es wurde arbeitsteilig gearbeitet, das gefiel mir weniger. Also, die einen haben gemalt, die anderen Kollegen haben nur retouchiert oder gegossen. Die waren damit zufrieden und sehr gut in ihrem Fach. Mich interessierte aber die vollständige Sache, ich dachte damals, machst du es ganz oder gar nicht! Und das ist mir dann teilweise auch gelungen. Während meiner Tätigkeit habe ich z. B. seit 1962 über tausend Formen für die Serienanfertigung von Wachsmodellen gearbeitet. Zwei Drittel aller Anfertigungen in meiner Zeit waren ja Wachsmodelle, in großer Zahl für den Verkauf, also z. B. Zahnerkrankungen, Gebißentwicklung, Organe, embryonale Entwicklung usw.; daneben wurden Kopien vom Moulagenfundus angefertigt, z. B. Verbrennungen, Erfrierungen, Karzinome, Geschlechtskrankheiten
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