Der Ausflug
Sie werden sehen, das geht viel schneller, als man denkt.«
Beatrijs entleerte ihre Blase. Ach, wenn das stimmte, war ihr momentaner Gemütszustand offenbar ganz normal. Da musste sie Leander doch gleich noch mal anrufen und ihm erklären,wodurch es kam, dass sie so... so labil war. Durch ihr Gezänk wusste er jetzt noch nicht einmal, dass sie jeden Moment entlassen werden konnte.
»Ich komme gleich noch einmal mit Ihrer Schlaftablette«, sagte die Schwester und deckte sie wieder zu.
»Ja, nur keine Eile.« Aber während sie die Hand zum Telefon ausstreckte, fiel ihr ein, dass Leander natürlich schon den Anrufbeantworter angestellt hatte. Wegen Laurens. Irgendwie beschlich sie dabei ein beklommenes Gefühl. Nicht zum ersten Mal hatte Leander darauf angespielt, dass Laurens ihn regelmäßig verzweifelt anrief, selbst zu nachtschlafender Zeit. Dass Laurens aus freien Stücken Kontakt zu Leander suchte, war schon schwer vorstellbar, aber dass er nun sogar um Hilfe bat! Es war zwar etwas, was sie in der Vergangenheit inständig erhofft hatte, aber Laurens war in dieser Hinsicht stets unverbesserlich geblieben. Er musste ja unbedingt alles selbst hinbekommen. Das wusste jeder. »Du bist ja nicht dabei, wenn er mich wieder mal anruft, weil er Gespenster sieht«, sagte Leander jedes Mal, wenn sie seine Geschichten leicht belustigt abzutun versuchte.
Sie war nicht dabei, das stimmte. Sie lag hier, während das Leben draußen weiterging. Ihr konnte man alles weismachen. Sie erschrak über diesen Gedanken.
Während der ganzen Zeit, die sie nun schon in diesem vermaledeiten Bett lag, hatte sie tunlichst vermieden, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. Auch Laurens selbst, der sie in unregelmäßigen Abständen und immer in Eile besuchte, hatte sie nie direkt darauf angesprochen. Schließlich hätte das Gespräch nicht anders als schmerzhaft und unangenehm verlaufen können. »Für wen hältst du mich, Beatrijs? Was sollte ich denn von dem Mann wollen? Pass bloß auf, sein gewaltiger Erfolg mit Babette ist ihm zu Kopf gestiegen. Jetzt will er uns alle retten, ob wir wollen oder nicht.«
Wer zu monatelangem Liegen verurteilt war, konnte sich nicht erlauben, alles haarklein wissen zu wollen. Es führte zu nichts, sich in Dinge einzumischen, bei denen man ohnehin nicht aktiv mitwirken konnte. Das war höchstens frustrierend. Aber jetzt, da sie sozusagen wieder auf der Schwelle zum wirklichen Leben stand, konnte sie sich nicht länger heraushalten. Ehe sie sichs versah, würde sie wieder zu Hause sein und notgedrungen mitbekommen, was zwischen den beiden ablief.
Als Laurens sie zum ersten Mal besucht hatte, hatte er einen betreten dreinschauenden Niels mitgebracht. »Wir kommen, um uns zu entschuldigen und es mit einem Küsschen wieder gutzumachen.« Niels hatte ihr eine große, herzförmige Schachtel Weinbrandkirschen geschenkt, die er, wie nicht unerwähnt blieb, von seinem eigenen Taschengeld gekauft hatte. »Auch wenn Niels es manchmal vergisst, im Grunde ist er ein echter Gentleman«, hatte Laurens gesagt. »Er und ich hoffen, dass seine angehimmelte Tante Rollmops ihrem Herzen einen Stoß gibt und ihm verzeiht, stimmt’s, Niels?«
Er hatte von jeher ein Talent für die richtige Geste gehabt. Das war eine einnehmende Eigenschaft. Aber er war ja auch ein Mann von Welt, mit einem eigenen Betrieb und Geschäftsbeziehungen: Da entwickelte man automatisch ein Händchen für solche Dinge. Sie konnte es Leander schwerlich übel nehmen, dass ihm derlei charmante Züge fehlten. Er war auf Höheres ausgerichtet. Laurens’ Charme war im Grunde ja auch oberflächlich. Dass er sie damit beeindruckte, bewies nur, wie unzulänglich sie selbst war.
Hör auf zu spinnen, sagte sie zu sich selbst. Leicht verbissen versuchte sie, eine möglichst bequeme Haltung zu finden. Während sie darauf wartete, dass die Schwester die Schlaftablette brachte, versuchte sie, möglichst unbeschwert zu sein, an etwas Schönes zu denken. Schon morgen konnte sie vielleicht endlich wieder ihre eigenen Zehen sehen. Kein Muskelkatermehr, keine empfindlichen Druckstellen. Schon morgen konnte sie die Welt wieder aus der Vertikalen betrachten. Den Wind in den Haaren spüren. Ein neues Kochbuch mit Rezepten durchblättern, bei denen der Erfolg garantiert war. Sich den Geschmack von Weinbrandbohnen auf der Zunge zergehen lassen.
War es bloß ein charmantes, effekthascherisches Kunststückchen, wenn jemand seine Kinder lehrte, dass Entschuldigungen
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